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Die achte Karte

Die achte Karte

Titel: Die achte Karte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Mosse
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schlanke Hand aus. »Und Anatole?«
    Anatole verneigte sich halb, nahm Isoldes Hand und führte sie an die Lippen.
    »Tante«, sagte er mit einem Lächeln, während er unter dunklen Wimpern zu ihr aufblickte. »Es ist mir ein großes Vergnügen.«
    »Das Vergnügen ist ganz meinerseits. Und, bitte, nennen Sie mich Isolde. Tante ist so förmlich und gibt mir das Gefühl, alt zu sein.«
    »Ihr Mädchen hat uns durchs hintere Tor hergeführt«, sagte Anatole. »Das und die Hitze haben meine Schwester ein wenig durcheinandergebracht.« Er machte eine ausladende Geste mit dem Arm, die Haus und Grundstück umschloss. »Aber wenn das hier unsere Belohnung ist, dann sind die Beschwerlichkeiten unserer Reise schon jetzt in ferner Erinnerung.«
    Isolde neigte zum Dank für das Kompliment den Kopf, dann wandte sie sich Léonie zu.
    »Ich hatte Marieta gebeten, die leidige Situation mit der Kutsche zu erklären, aber sie lässt sich so leicht ablenken«, sagte sie leichthin. »Es tut mir leid, dass Ihre ersten Eindrücke unerfreulich waren. Aber gleichwohl. Nun sind Sie hier.«
    Endlich fand Léonie die Sprache wieder. »Tante Isolde, bitte entschuldigen Sie meine Unhöflichkeit. Das war unverzeihlich.«
    Isolde lächelte. »Ich habe nichts zu entschuldigen. Und nun, setzen Sie sich. Zuerst Tee –
à l’anglaise
 –, und dann wird Marieta Ihnen Ihre Zimmer zeigen.«
    Sie nahmen Platz. Sogleich wurden eine silberne Teekanne und ein Krug frische Limonade an den Tisch gebracht, gefolgt von Tellern mit sowohl herzhaften als auch süßen Leckereien.
    Isolde beugte sich vor und goss den Tee ein, eine zartblasse Flüssigkeit, die nach Sandelholz und Orient roch.
    »Was für ein wunderbarer Duft«, sagte Anatole, der das Aroma einatmete. »Was ist das?«
    »Das ist meine eigene Mischung aus Lapsang Souchong und
verveine.
Ich finde sie ungleich erfrischender als die schweren englischen und deutschen Teesorten, die zurzeit so beliebt sind.«
    Isolde hielt Léonie eine weiße Porzellanschale mit großen leuchtend gelben Zitronenscheiben hin. »Léonie, das Telegramm Ihrer Mutter, die meine Einladung in Ihrem Namen akzeptierte, war äußerst charmant. Ich hoffe sehr, ich werde irgendwann Gelegenheit haben, auch sie kennenzulernen. Vielleicht möchte sie im Frühling zu Besuch kommen?«
    Léonie dachte an die Abneigung, die ihre Mutter gegenüber der Domaine empfand, und dass sie sich hier nie zu Hause gefühlt hatte, aber sie entsann sich ihrer guten Manieren und log charmant.
    »M’man wäre entzückt. Zu Beginn dieses Jahres war ihre Gesundheit aufgrund des unfreundlichen Wetters ein wenig angegriffen, sonst wäre sie selbstverständlich gekommen, um Oncle Jules die letzte Ehre zu erweisen.«
    Isolde lächelte und sah dann Anatole an. »In den Zeitungen stand, die Temperaturen in Paris sind auf weit unter null Grad gefallen. Ist das möglich?«
    Anatoles Augen strahlten hell. »Es war, als wäre die Welt zu Eis geworden. Selbst die Seine ist zugefroren, und weil nachts auf den Straßen so viele Menschen starben, waren die Behörden gezwungen, in Sporthallen, Schießständen, Schulen und öffentlichen Bädern Quartiere einzurichten. Selbst das Palais des Arts Libéraux auf den Champs de Mars, im Schatten von Monsieur Eiffels großartigem Turm, musste als Asyl herhalten.«
    »Und die Fechthallen?«
    Anatole schaute verwirrt. »Fechthallen?«
    »Verzeihen Sie«, sagte Isolde, »die Verletzung über Ihrem Auge. Ich dachte, Sie wären vielleicht Fechter.«
    Léonie schaltete sich ein. »Anatole ist vor vier Nächten überfallen worden, gleich nach den Tumulten im Palais Garnier.«
    »Léonie, bitte«, protestierte er.
    »Wurden Sie verletzt?«, fragte Isolde rasch.
    »Nur ein paar Kratzer und Prellungen, nicht der Rede wert«, sagte er und warf Léonie einen grimmigen Blick zu.
    »Ist die Kunde von den Tumulten noch nicht bis hierher gedrungen?«, fragte Léonie. »Die Zeitungen in Paris haben groß und breit über die Festnahmen der
abonnés
berichtet.«
    Isolde hielt die Augen weiter auf Anatole gerichtet.
    »Hat man Sie ausgeraubt?«, fragte sie ihn.
    »Meine Uhr – die Taschenuhr meines Vaters wurde gestohlen. Die Männer wurden gestört, ehe sie mir noch mehr wegnehmen konnten.«
    »Dann waren es gemeine Straßenräuber?«, fragte Isolde nach, als wollte sie sich selbst einreden, dass dem so war.
    »Richtig. Ein einfacher Überfall. Es war Pech.«
    Für einen Moment senkte sich verlegenes Schweigen über den Tisch.
    Dann besann

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