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Die achte Karte

Die achte Karte

Titel: Die achte Karte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Mosse
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neben der Kirche verschwanden, dann wieder herauskamen und zur Vorhalle gingen, um sich in das Kondolenzbuch einzutragen. Es schien, als wäre die ganze Stadt auf den Beinen.
    »Wissen Sie, wer da beerdigt wird?«, fragte sie die Kellnerin.
    »Oui, Madame. Un bien-aimé.«
    Eine dünne, hagere Frau mit kurzem schwarzem Haar lehnte an der Wand. Sie stand vollkommen ruhig da, aber ihre Augen huschten hin und her. Als sie die Hände hob, um sich eine Zigarette anzuzünden, rutschten die Ärmel ihrer Bluse nach unten, und Meredith bemerkte wulstige rote Narben um beide Handgelenke.
    Als hätte die Frau gespürt, dass sie beobachtet wurde, wandte sie den Kopf und sah Meredith direkt an.
    »
Un bien-aimé?«,
fragte Meredith, nur um irgendwas zu sagen.
    »Jemand, der beliebt war. Geachtet«, antwortete die Frau auf Englisch.
    Klar. Das war nicht zu übersehen.
    »Danke.« Meredith lächelte verlegen. »Hätte ich mir auch denken können.«
    Die Frau starrte sie noch einen Moment an, dann wandte sie den Kopf ab. Die Glocke läutete jetzt eindringlicher, ein dünner, verlorener Klang. Die Menge trat zurück, als vier Männer einen Sarg aus dem Presbyterium trugen. Hinter ihnen ein junger Mann in Schwarz, etwa Ende zwanzig, mit vollem schwarzem Haar. Sein Gesicht war bleich, sein Kiefer angespannt, als ringe er um Fassung.
    Neben ihm war ein älterer Mann, gleichfalls schwarz gekleidet. Merediths Augen weiteten sich. Es war der Fahrer des blauen Peugeot, und er wirkte völlig beherrscht.
    Plötzlich hatte sie ein schlechtes Gewissen, wegen ihrer Reaktion von vorhin.
    Kein Wunder, dass er so barsch war.
    Meredith sah zu, wie der Sarg den kurzen Weg vom Presbyterium zur Kirche getragen wurde. Die Touristen im Café gegenüber erhoben sich, als die Trauergesellschaft vorbeiging. Die Studenten verstummten, falteten die Hände vor dem Körper und blieben schweigend stehen, während die Trauernden langsam an ihnen vorbeizogen und in der Kirche verschwanden.
    Die Kirchentür fiel laut zu. Das Glockenläuten erstarb, und nur ein letztes Echo hing noch in der Abendluft. Rasch nahm das Leben auf dem Platz wieder seinen gewohnten Gang. Stuhlbeine wurden gerückt, Menschen griffen nach ihren Gläsern oder Servietten, zündeten sich Zigaretten an.
    Meredith registrierte, dass ein Auto in südlicher Richtung über die Hauptstraße fuhr. Dann folgten weitere. Zu ihrer Erleichterung schien die Straße wieder frei zu sein. Sie wollte endlich in ihr Hotel.
    Sie trat aus dem Schutz des Gebäudes und nahm zum ersten Mal den Platz in seiner Gesamtheit wahr anstatt nur immer einzelne Details. Und plötzlich sah sie es. Das Foto von dem jungen Soldaten, ihres Vorfahren, war hier aufgenommen worden. Das war genau die Stelle unter den Platanen, umrahmt von den Gebäuden, die sich Richtung Pont Vieux zogen, und im Hintergrund der bewaldete Hang, der durch eine Häuserlücke zu sehen war.
    Meredith wühlte in ihrer Tasche, zog den Umschlag heraus und hielt das Foto hoch.
    Es passte genau.
    Die Caféschilder und die Pension an der Ostseite des Platzes waren neu, aber ansonsten hatte sich nichts verändert. Genau hier hatte 1914 ein junger Mann gestanden und in die Kamera gelächelt, bevor er in den Krieg zog. Ihr Urgroßvater, da war sie sicher.
    Mit neuer Zuversicht für die Aufgabe, die sie sich gestellt hatte, ging Meredith zurück zu ihrem Auto. Sie war noch keine Stunde hier und hatte schon etwas herausgefunden. Etwas Eindeutiges.

Kapitel 30
    M eredith ließ den Motor an und fuhr los. Als sie über den Place de Deux Rennes rollte, schielte sie zu der Stelle hinüber, wo das Foto aufgenommen worden war, als könnte sie dort die Umrisse ihres längst verstorbenen Vorfahren sehen, der sie zwischen den Bäumen hindurch anlächelte.
    Schon bald hatte sie die letzten Ausläufer des Städtchens hinter sich gelassen und fuhr über die unbeleuchtete Landstraße. Die Bäume nahmen seltsame, sich verändernde Formen an. Dann und wann sah sie in der Dunkelheit ein Gebäude, ein Wohnhaus oder einen Stall, aufragen. Sie drückte mit dem Ellbogen das Knöpfchen an der Fahrertür herunter und hörte das beruhigende Klacken der Zentralverriegelung.
    Sie fuhr langsam und hielt sich an die Wegbeschreibung in der Broschüre. Zur Ablenkung schaltete sie das Radio ein. Die Stille auf dem Land kam ihr absolut vor. Neben ihr war ein undurchdringlicher Wald. Über ihr ein weiter Himmel, der von nur wenigen Sternen erhellt wurde. Sie sah kein Lebenszeichen, nicht einmal

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