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Die achte Karte

Die achte Karte

Titel: Die achte Karte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Mosse
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einen Fuchs oder eine Katze.
    Meredith kam zu der Straße nach Sougraigne, die in der Broschüre vermerkt war, und bog links ab. Sie rieb sich die Augen, merkte, dass sie eigentlich zu übermüdet war, um noch zu fahren. Die Büsche und Telefonmasten am Straßenrand schienen zu schwanken, zu zittern. Ein paarmal meinte sie, jemanden die Straße entlanggehen zu sehen, die Umrisse von ihren Scheinwerfern erhellt, doch wenn sie näher kam, war es immer nur ein Schild oder ein kleines Kreuz am Straßenrand.
    Sie versuchte, sich zu konzentrieren, ertappte sich aber immer wieder dabei, dass ihre Gedanken abglitten. Nach diesem verrückten Tag – die Tarotsitzung, die Taxifahrt quer durch Paris, der Flug, und dann mit dem Auto hierher, die Achterbahnfahrt der Gefühle – war ihre Energie erschöpft. Sie war völlig geschafft. Das Einzige, was sie sich jetzt wünschte, war eine lange, heiße Dusche, dann ein Glas Wein und etwas zu essen. Dann lange, lange schlafen.
    O Gott!
    Meredith stieg voll in die Bremsen. Da stand jemand mitten auf der Straße. Eine Frau in einem langen roten Umhang, die Kapuze über den Kopf gezogen. Meredith schrie auf, sah ihr eigenes panisches Gesicht weiß in der Windschutzscheibe gespiegelt. Sie riss das Lenkrad herum, wusste aber, dass sie den Zusammenstoß unmöglich verhindern konnte. Sie spürte wie in Zeitlupe, dass die Reifen den Kontakt zur Straße verloren. Sie warf die Hände hoch, um sich gegen den Aufprall zu schützen. Das Letzte, was sie sah, war ein Paar große grüne Augen, die sie direkt anstarrten.
    Nein! Nein, nein!
    Der Wagen schlingerte. Die Hinterräder schwangen um neunzig Grad herum, glitten über die Straße und kamen nur Zentimeter vom Graben entfernt wippend zum Stehen. Von irgendwo kam eine lautes hämmerndes Dröhnen, wie Trommeln, ohrenbetäubend. Es dauerte einen Moment, bis sie merkte, dass es nur ihr eigenes Blut war, das ihr in den Ohren rauschte.
    Meredith öffnete die Augen.
    Ein paar Sekunden saß sie einfach bloß da und hielt das Lenkrad umklammert, als hätte sie Angst, es loszulassen. Dann wurde ihr mit kaltem Grauen klar, dass sie aussteigen musste. Sie hatte jemanden überfahren. Vielleicht sogar getötet.
    Sie fummelte am Türgriff, löste die Zentralverriegelung und stieg mit zitternden Beinen aus dem Wagen. Voller Angst, was sie wohl finden mochte, ging sie langsam nach vorne, wappnete sich innerlich, einen zerquetschten Körper unter den Rädern zu sehen.
    Da war nichts. Meredith wusste nicht, was sie denken sollte, und schaute sich fassungslos um, blickte nach links und rechts, zurück in die Richtung, aus der sie gekommen war, nach vorne, wo das Licht ihrer Scheinwerfer sich in einem schwarzen Punkt verlor.
    Nichts. Der Wald war still. Nichts regte sich.
    »Hallo?«, rief sie. »Ist da jemand? Sind Sie verletzt? Hallo?«
    Nichts außer dem Klang ihrer eigenen Stimme, die zu ihr zurückhallte.
    Verwirrt bückte sie sich und inspizierte den Kühler des Autos. Sie konnte keinerlei Beschädigungen entdecken. Sie ging um den Wagen herum, ließ die Hand über die Karosserie gleiten, ertastete aber keine Beule.
    Meredith stieg wieder ein. Sie war sicher, jemanden gesehen zu haben. Eine Gestalt, die sie aus der Dunkelheit angestarrt hatte. Das hatte sie sich doch nicht eingebildet, oder? Sie schaute in den Rückspiegel, aus dem sie aber nur ihr eigenes geisterhaftes Spiegelbild ansah. Dann, aus den Schatten, das verzweifelte Gesicht ihrer leiblichen Mutter.
    Ich werde nicht verrückt.
    Sie rieb sich die Augen, nahm sich noch ein paar Minuten Zeit und ließ dann den Motor wieder an. Nach dem, was geschehen war – was
nicht
geschehen war –, saß ihr der Schreck in den Gliedern, und sie fuhr ganz vorsichtig weiter, ließ das Fenster offen, um einen klaren Kopf zu bekommen. Hellwach zu bleiben.
    Meredith war erleichtert, als sie das Hinweisschild zum Hotel sah. Sie bog von der Straße nach Sougraigne ab und folgte einer gewundenen einspurigen Zufahrt, die steil bergauf führte. Nach einigen weiteren Minuten sah sie zwei Steinsäulen und ein kunstvoll geschmiedetes zweiflügeliges schwarzes Eisentor. An der Wand hing eine graue Schiefertafel: HÔTEL DOMAINE DE LA CADE .
    Ausgelöst durch einen Bewegungssensor, öffnete sich das Tor langsam, um sie hereinzulassen. Die Stille, das leise Geräusch des Tores über dem Kies hatten etwas Unheimliches an sich, und Meredith lief es kalt den Rücken hinunter. Fast schien es, als wäre der Wald lebendig, als lebte

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