Die achte Karte
neben der Tür zum Badezimmer und reflektierte das Licht.
Niemand.
Meredith sank nach hinten gegen das Kopfteil aus Mahagoni. Erleichterung durchströmte sie. Auf dem Nachttisch zeigte der Wecker rot blinkend die Uhrzeit an. Vier Uhr fünfundvierzig. Keine Augen, bloß die LED -Ziffern des Radioweckers im Spiegel.
Ein ganz normaler Alptraum.
Nach allem, was sie tagsüber erlebt hatte, eigentlich nicht verwunderlich.
Meredith schob mit den Beinen die Decke weg, um sich abzukühlen, und blieb eine Weile ruhig liegen, die Hände über der Brust gefaltet, wie eine Figur auf einem Grabmal, dann stand sie auf. Sie musste sich bewegen, brauchte körperliche Ablenkung. Konnte nicht einfach still daliegen. Sie schnappte sich eine Flasche Mineralwasser aus der Minibar und ging zum Fenster, um über den stillen Park zu blicken, der verlassen im Mondlicht lag. Das Wetter war umgeschlagen, und die Terrasse unterhalb ihres Zimmers glänzte regennass. Ein weißer Nebelschleier hing in der stillen Luft über dem Waldrand.
Meredith legte eine warme Hand an die kalte Glasscheibe, als könnte sie so die schlechten Gedanken vertreiben. Nicht zum ersten Mal beschlichen sie Zweifel, ob sie das Richtige tat. Was, wenn es hier nichts zu finden gab? Die ganze Zeit hatte sie der Gedanke getrieben, mit ein paar alten Fotografien und einem Blatt Klaviermusik im Gepäck nach Rennes-les-Bains zu kommen.
Aber jetzt, wo sie hier war und gesehen hatte, wie klein der Ort war, fühlte sie sich unsicher. Die ganze Idee, hier die Spur ihrer Geburtsfamilie zu finden, ohne auch nur einen richtigen Namen zu haben, nach dem sie suchen konnte, kam ihr auf einmal lächerlich vor. Wie ein alberner Traum, der in einen kitschigen Hollywood-Film gehörte.
Aber nicht ins wahre Leben.
Meredith hatte keine Ahnung, wie lang sie dort am Fenster stand und einfach nur grübelte, ihren Gedanken nachhing. Erst als sie merkte, dass ihre Zehen schon ganz taub vor Kälte waren, wandte sie sich um und schaute zur Uhr. Sie stieß einen erleichterten Seufzer aus. Es war nach fünf Uhr morgens. Sie hatte genug Zeit totgeschlagen. Die Geister verjagt, die Dämonen der Nacht. Das Gesicht im Wasser, die Gestalt auf der Straße, die furchteinflößenden Bilder auf den Karten.
Als sie sich wieder ins Bett legte, war der Raum friedlich. Keine Augen, die sie anstarrten, keine schimmernde Präsenz in der Dunkelheit, nur die blinkenden Zahlen des Weckers. Sie schloss die Augen.
Ihr Soldat verwandelte sich in Debussy, wurde zu Hal.
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Fünfter Teil
Domaine de la Cade
September 1891
Kapitel 34
∞
Montag, 21 . September 1891
L éonie gähnte und öffnete die Augen. Sie streckte die blassen, schlanken Arme über den Kopf und stützte sich auf die üppigen weißen Kissen.
Sie hatte gut geschlafen, obwohl oder vielleicht gerade weil sie am Abend zuvor etwas reichlich dem Blanquette de Limoux zugesprochen hatte.
Das Morgenlicht fiel in das hübsche Gelbe Zimmer. Sie blieb eine Weile im Bett liegen und lauschte auf die vereinzelten Laute, die die tiefe Stille der Natur durchdrangen. Der Gesang der Vögel, der Wind in den Bäumen. Es war viel angenehmer, als daheim an einem grauen Pariser Morgen zu erwachen, wenn vom Gare Saint-Lazare das schrille metallische Kreischen ertönte.
Um acht Uhr servierte Marieta das Frühstück. Sie stellte das Tablett auf den Tisch am Fenster und zog die Vorhänge auf; sogleich durchfluteten die ersten gebrochenen Sonnenstrahlen den Raum. Durch das wellige Glas der alten Fensterflügel konnte Léonie den Himmel sehen, hell und blau, gesprenkelt mit lila und weißen Wolkenfetzen.
»Danke Marieta«, sagte sie. »Ich komme dann zurecht.«
»Sehr wohl, Madomaisèla.«
Léonie warf die Decke zurück, schwang die Füße auf den Teppich und schlüpfte in ihre Pantoffeln. Sie nahm ihren blauen Kaschmirmorgenmantel vom Haken, wusch sich das Gesicht mit dem Wasser vom Vorabend und setzte sich an den Tisch vor dem Fenster. Es fühlte sich sehr vornehm an, allein in ihrem Schlafzimmer zu frühstücken. Zu Hause durfte sie das nur, wenn M’man Besuch von Du Pont hatte.
Sie hob den Deckel von der dampfenden Kaffeekanne, und das köstliche Aroma frisch gerösteter Bohnen schwebte in den Raum wie ein Geist aus der Flasche. Neben der silbernen Kanne standen ein Krug warme, schaumige Milch, eine Schale mit weißen Zuckerwürfeln und einer Silberzange. Sie nahm die gestärkte Serviette von einem Teller mit Weißbrot, dessen goldbraune Kruste noch warm
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