Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die achte Karte

Die achte Karte

Titel: Die achte Karte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Mosse
Vom Netzwerk:
paar Probleme. Die gerichtsmedizinische Untersuchung hat eine Weile gedauert. Der Leichnam wurde erst letzte Woche freigegeben.«
    Meredith nickte und fragte sich, was das wohl für Probleme gewesen sein mochten. Hal war wieder in Schweigen versunken.
    »Leben Sie hier?«, fragte sie, um das Gespräch wieder in Gang zu bringen.
    Hal schüttelte den Kopf. »London. Ich bin Investmentbanker, habe aber gerade gekündigt.« Er zögerte. »Ich hatte sowieso die Nase voll. Auch vorher schon. Ich habe sieben Tage die Woche vierzehn Stunden am Tag gearbeitet. Wozu das viele Geld, wenn du keine Zeit hast, es auszugeben?«
    »Haben Sie noch mehr Familie hier? Ich meine Verwandte in dieser Gegend Frankreichs?«
    »Nein. Engländer durch und durch.«
    Meredith wartete einen Moment. Dann: »Was haben Sie denn jetzt für Pläne?«
    Er zuckte die Achseln.
    »Wollen Sie in London bleiben?«
    »Weiß nicht«, sagte er. »Wohl kaum.«
    Meredith nippte wieder an ihrem Glas.
    »Debussy«, sagte Hal plötzlich, als wäre jetzt erst bei ihm angekommen, was sie vorhin gesagt hatte. »Das ist mir zwar peinlich, aber ich weiß so gut wie nichts über ihn.«
    Meredith lächelte, froh, dass er sich wenigstens Mühe gab.
    »Wieso sollten Sie auch?«
    »Was hat er denn für Verbindungen zu diesem Teil Frankreichs?«
    Meredith lachte. »Kaum welche«, sagte sie. »Im August 1900 erwähnt Debussy in einem Brief an einen Freund, dass er seine Frau Lilly zur Genesung nach einer Operation in die Pyrenäen schicken will. Zwischen den Zeilen lässt sich herauslesen, dass es sich um einen Schwangerschaftsabbruch handelte. Bis jetzt konnte noch keiner diese Geschichte bestätigen oder widerlegen – und falls Lilly überhaupt gefahren ist, dann jedenfalls nicht für lange, denn im Oktober war sie schon wieder in Paris.«
    Hal verzog das Gesicht. »Möglich wär’s. Soweit ich weiß, war Rennes-les-Bains damals ein sehr beliebter Kurort, auch wenn man sich das heute kaum noch vorstellen kann.«
    »Ja«, bestätigte Meredith. »Es war vor allem bei Parisern beliebt. Zum Teil auch deshalb, weil es sich nicht auf die Behandlung einer bestimmten Krankheit spezialisiert hatte. Manche Kurorte waren nämlich nur für ihre Rheumabehandlungen bekannt, andere, wie Lamalou, konzentrierten sich ausschließlich auf Syphilis.«
    Hal zog die Augenbrauen hoch, hakte aber nicht weiter nach. »Wissen Sie, mir scheint der Aufwand ziemlich groß«, sagte er schließlich. »Den ganzen weiten Weg herzukommen, nur weil Lilly Debussy möglicherweise mal hier war. Ist das denn so wichtig für Ihr Projekt?«
    »Wenn ich ehrlich bin, nein, eigentlich nicht«, erwiderte sie und wunderte sich selbst, wie trotzig sie auf einmal wurde. Als wäre das wahre Motiv, warum sie nach Rennes-les-Bains gekommen war, schmerzhaft offensichtlich. »Aber es wäre ein tolles Forschungsergebnis, etwas ganz Neues, worum sich bislang noch niemand gekümmert hat. Das kann manchmal entscheidend dafür sein, dass sich ein Buch von anderen abhebt.« Sie stockte. »Außerdem ist es eine interessante Phase in Debussys Leben. Lilly Texier war erst vierundzwanzig, als sie ihn kennenlernte, und arbeitete als Mannequin. Ein Jahr später, 1899 , heirateten sie. Er hat viele seiner Werke Freunden gewidmet, Geliebten, Kollegen, und Lillys Name taucht auffällig selten auf seinen Notenblättern auf, seien es Lieder oder Klavierstücke.« Meredith war sich bewusst, dass sie ins Plappern geraten war, aber sie war jetzt in ihrem Element und konnte sich nicht mehr bremsen. Sie beugte sich näher zu ihm. »Meiner Meinung nach war Lilly während der entscheidenden Jahre vor der Uraufführung von Debussys einziger Oper
Pelléas et Mélisande
im Jahre 1902 an seiner Seite. Das war die Zeit, in der sich sein Schicksal zum Guten wendete, in der er bekannt wurde, gesellschaftlich aufstieg. Lilly war an diesem Durchbruch mit beteiligt. Ich finde, das darf man nicht so einfach übergehen.«
    Sie hielt inne, um Luft zu holen, und sah zum ersten Mal seit Beginn des Gesprächs, dass Hal lächelte.
    »Entschuldigung«, sagte sie und verzog das Gesicht. »Jetzt habe ich mich ein bisschen hinreißen lassen. Eine schreckliche Angewohnheit von mir, immer davon auszugehen, dass andere das Thema genauso interessant finden wie ich.«
    »Ich finde es toll, dass Sie sich so für etwas begeistern«, sagte er leise. Meredith fiel der veränderte Tonfall in seiner Stimme auf, und als sie zu ihm hinüberschaute, sah sie, dass seine blauen

Weitere Kostenlose Bücher