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Die achte Karte

Die achte Karte

Titel: Die achte Karte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Mosse
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Eindruck vom Leben hier zur Zeit der Jahrhundertwende vermittelt.«
    Meredith merkte auf. »Hört sich gut an.«
    »Sollen wir uns um zehn in der Lobby treffen?«, schlug er vor.
    Meredith zögerte, entschied aber dann, dass sie übervorsichtig war.
    »Okay«, sagte sie. »Zehn ist mir recht.«
    Er schob die Hände in die Hosentaschen. »Gute Nacht.«
    Meredith nickte. »Bis morgen.«

Kapitel 33
    Z urück in ihrem Zimmer, war Meredith zu aufgedreht, um zu schlafen. Sie ging das Gespräch mit ihm im Kopf durch, erinnerte sich daran, was sie gesagt hatte, was er gesagt hatte. Versuchte, zwischen den Zeilen zu lesen.
    Während sie sich die Zähne putzte, starrte sie ihr Gesicht im Spiegel an und empfand plötzlich tiefes Mitleid mit ihm. Er wirkte so verletzlich. Sie spuckte die Zahnpasta ins Waschbecken. Wahrscheinlich war er gar nicht an ihr interessiert. Wahrscheinlich brauchte er nur ein wenig Ablenkung.
    Sie stieg ins Bett, schaltete das Licht aus, und das Zimmer versank in weicher, tintenschwarzer Dunkelheit. Eine Zeitlang starrte sie an die Decke, bis ihre Glieder schwer wurden und sie allmählich wegdämmerte.
    Sogleich drängte sich das Gesicht, das Meredith im Wasser gesehen hatte, in ihre Gedanken, dann das seltsame Erlebnis auf der Straße. Und schlimmer noch, das gequälte schöne Antlitz ihrer leiblichen Mutter, wie sie weinte, wie sie die Stimmen anflehte, sie in Ruhe zu lassen.
    Merediths Augen flogen auf.
    Nein. Niemals. Ich lasse nicht zu, dass die Vergangenheit mich einholt.
    Sie war hier, um herauszufinden, wer sie war, wer ihre Vorfahren waren, um dem Schatten ihrer Mutter zu entfliehen, nicht um sie realer denn je zurückzuholen. Meredith schob die Erinnerungen an ihre Kindheit beiseite und verdrängte sie mit den Tarot-Bildern, die ihr den ganzen Tag durch den Kopf gegangen waren. Le Mat und La Justice. Der Teufel mit den blauen Augen, die angeketteten Liebenden, ohne Hoffnung zu seinen Füßen.
    Im Geist hörte sie erneut Lauras Worte, ließ ihre Gedanken von Karte zu Karte wandern, während sie langsam in den Schlaf sank. Ihre Augen wurden schwer. Jetzt dachte Meredith an Lilly Debussy, ganz blass, mit einer Kugel, die für alle Zeit in ihrer Brust steckte. An Debussy, der mit finsterer Miene rauchend am Klavier saß. An Mary, lesend in dem sacht wippenden Schaukelstuhl auf der Veranda in Chapel Hill. Der Sepiasoldat, umrahmt von Platanen auf dem Place de Deux Rennes.
    Meredith hörte eine Wagentür zuknallen und das Knirschen von Schuhen auf Kies, den Schrei einer Eule, die auf Beutezug ging, dann und wann ein Beben und Klopfen in den Warmwasserleitungen.
    Im Hotel kehrte Stille ein. Die Nacht schlang ihre schwarzen Arme um das Haus. Das Gelände der Domaine de la Cade lag schlummernd unter einem blassen Mond.
    Stunden verstrichen. Mitternacht, zwei Uhr, vier.
    Plötzlich erwachte Meredith mit einem Ruck, riss die Augen auf und starrte in die Dunkelheit. Jeder Nerv in ihrem Körper vibrierte, war hellwach. Jeder Muskel, jede Sehne so angespannt wie eine Geigensaite.
    Da sang jemand.
    Nein, das war kein Gesang. Da spielte jemand Klavier. Und das ganz nah.
    Sie setzte sich auf. Das Zimmer war kalt. Dieselbe durchdringende Kälte, die sie unter der Brücke verspürt hatte. Und die Dunkelheit hatte sich verändert, war nicht mehr so dicht, wie zersplittert. Es kam Meredith fast so vor, als könnte sie sehen, wie sich Partikel aus Licht und Dunkelheit und Schatten vor ihren Augen voneinander lösten. Von irgendwo kam ein Lufthauch, obwohl sie schwören konnte, dass alle Fenster geschlossen waren, ein zarter Lufthauch, der ihr über Schultern und Hals strich, liebkoste, ohne sie zu berühren, streichelte, flüsterte.
    Jemand ist im Zimmer.
    Sie sagte sich selbst, dass das unmöglich war. Sie hätte etwas gehört.
    Und doch wusste sie plötzlich mit überwältigender Gewissheit, dass jemand am Fußende des Bettes stand, sie betrachtete. Zwei brennende Augen in der Dunkelheit. Kalte Schweißtropfen rannen zwischen ihren Schulterblättern hinab und in die Mulde zwischen ihren Brüsten.
    Adrenalin rauschte durch ihren Körper.
    Jetzt. Tu’s.
    Sie zählte bis drei, dann nahm sie ihren ganzen Mut zusammen, rollte sich zur Seite und schaltete das Licht ein.
    Die Dunkelheit zerbarst. All die vertrauten Gegenstände des Alltags kamen zurückgeeilt, um sie zu begrüßen. Alles war an seinem Platz. Schrank, Tisch, Fenster, Kaminsims, Schreibtisch, alles so, wie es sein sollte. Der hohe Ankleidespiegel stand

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