Die achte Offenbarung
mir das nicht so recht vorstellen. Ich bin ja nicht gerade eine Expertin für Zeitreisen, aber wäre das nicht ein Paradoxon? Wieso sollte jemand in der Zukunft eine Botschaft in die Vergangenheit schicken und vor etwas warnen, was gar nicht passiert ist? Wenn ich die Sache mit den Parallelwelten richtig verstanden habe, kann man seine eigene Vergangenheit nicht verändern. Dieser Zukunftsmenschkönnte also nicht in einer Welt leben, in der der Anschlag schon passiert ist, wenn seine Botschaft erst der Auslöser dafür wäre.«
»Du hast recht.«
Sie schwiegen eine Weile.
»Hältst du es für möglich, dass es noch andere Botschaften gibt?«, fragte Mele unvermittelt. »Wenn diese Leute aus der Zukunft den Lauf der Geschichte verändern wollten, dann hätten sie sich doch bestimmt nicht nur auf einen einzelnen Mönch verlassen, oder?«
»Schon möglich. Andererseits habe ich noch nie ein derartiges Buch gesehen. Wenn so etwas häufig wäre, dann wäre es der Gemeinschaft der Historiker sicher nicht verborgen geblieben.«
»Du hast mir doch von diesem Manuskript erzählt, mit dem du dich immer beschäftigt hast, Wojtyla oder wie das hieß.«
»Wenn das Voynich-Manuskript eine Botschaft aus der Zukunft ist, dann jedenfalls eine ziemlich abgedrehte«, sagte Paulus, doch im selben Moment fragte er sich, ob sie nicht vielleicht recht hatte. »Wie auch immer, ich kann mir nicht vorstellen, dass die US-Regierung schon längst Bescheid weiß. Wenn das so wäre, dann hätten sie ja wohl den Anschlag in Lourdes verhindert.«
Mele nickte. »Was denkst du wird jetzt passieren?«
»Wer weiß. Ich hoffe, dieser Ferry gibt die Sache an die richtigen Leute weiter.« Er äffte die neutrale Stimme des CIA-Manns nach: » Ich bin dazu da, Informationen zu sammeln. Die Interpretation übernehmen andere. Typisch Behörde!«
»Wie auch immer, wir haben getan, was wir konnten. Es liegt jetzt nicht mehr in unserer Hand, das Schicksal zu verändern.«
Mele wirkte für einen Moment erleichtert, doch im nächsten Moment legte sich Trauer wie ein Schleier über ihr Gesicht. »Der arme Dirk! Diese verdammten Mistkerle! Was immer passiert, ich hoffe, dass sie die Typen kriegen!«
Paulus nickte. Er blickte auf die Uhr: kurz nach sechs. »Ich frage mich, wie lange wir hier noch rumsitzen müssen.«
»Je länger es dauert, desto besser«, meinte Mele. »Es bedeutet, dass sie über uns diskutieren.«
Während Paulus noch über ihre Antwort nachdachte, ging die Tür auf. Doch es war nicht Ferry, der hereinkam, sondern ein untersetzter Mann in den Fünfzigern mit Halbglatze. »Mrs. Kallen, may I ask you to follow me«, sagte er in unfreundlichem Tonfall.
Als sie sich beide erhoben, zeigte der Mann auf Paulus und schüttelte den Kopf. »Not you. Please wait here for another moment!«
Mele warf Paulus einen erschrockenen Blick zu. Er versuchte, beruhigend zu lächeln. »Schon okay. Sie vernehmen uns einzeln, um zu überprüfen, ob es Widersprüche in unserer Geschichte gibt. Ich denke, das bedeutet, sie nehmen uns ernst. Bis später!« Er lächelte aufmunternd.
»Bis später!« Mele folgte dem dicken CIA-Mann.
Paulus musste nicht lange warten, bis Ferry in den Raum zurückkehrte, gefolgt von einer zierlichen Frau in mittlerem Alter. Sie trug eine Brille, ein graues Kostüm und streng zurückgekämmtes schwarzes Haar, das bereits einige graue Strähnen aufwies. Sie stellte sich auf Englisch vor: »My name is Grace Torcello. I have a few questions, if you don’t mind.«
»Das ist Mrs. Torcello, eine Kollegin von mir«, übersetzte Ferry. »Sie hat noch ein paar Fragen an Sie. Ich werde als Dolmetscher fungieren.«
»That’s not necessary«, antwortete Paulus. »My English is good enough, I hope.«
»Very well«, sagte Torcello und lächelte dünn.
Der Rest der Unterhaltung verlief in Englisch. Torcello stellte Paulus Fragen, während Ferry schweigend zuhörte. Sie wollte Details wissen, die Paulus auf den ersten Blick irrelevant erschienen: Welche Kleidung Lieberman getragen hatte, als er Paulus zum ersten Mal begegnet war, was sie an jenem Tag in Heidelberg zu Abend gegessen hatten, wer noch mit ihnen in dem Zugabteil gesessen hatte, als Mele und er dorthin unterwegs waren. Paulus begriff, dass sie mit solchen Details, die Mele und er unmöglich abgestimmt haben konnten, überprüfen wollte, ob sie sich die Geschichte nur ausgedacht hatten.
Dann stellte sie Fragen, die erkennbar nicht dazu dienten, die Geschichte zu überprüfen: Ob
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