Die achte Offenbarung
Krankenschwestern –, die in Teheran ihr Leben verlieren würden. Er spürte Übelkeit in sich aufsteigen.
»Was machen wir jetzt?«
»Schlafen«, sagte Paulus. Die Anstrengungen der letzten Tage lasteten jetzt, wo der permanente Druck der Rätsel und Verfolgungsjagden verschwunden war, wie ein Mantel aus Blei auf ihm.
Sie fanden ein günstiges Hotel unweit des Potsdamer Platzes. Er verabschiedete sich im Fahrstuhl knapp von Mele, die ein Zimmer auf einer anderen Etage bekommen hatte, und fiel kurz darauf in einen erschöpften, traumlosen Schlaf.
40.
Berlin, Sonntag 11:27 Uhr
Als Paulus erwachte, fühlte sich sein Kopf an wie nach einer durchzechten Nacht. Das Zimmer war taghell erleuchtet – er war gestern Abend so müde gewesen, dass er vergessen hatte, die Vorhänge zuzuziehen. Er duschte ausgiebig, zog sich an und klopfte an Meles Tür.
Sie öffnete fast augenblicklich, so als habe sie schon auf ihn gewartet. Sie wirkte blass und hatte dunkle Ringe unter den Augen, begrüßte ihn jedoch mit einem Lächeln. »Wollen wir etwas frühstücken gehen? Ich habe einen Mordshunger!«
Er stimmte zu. Kurz darauf saßen sie in einem Café am Potsdamer Platz. Ein starker Kaffee vertrieb allmählich Paulus’ Katergefühl. Er fragte sich, was jetzt in der amerikanischen Botschaft vorgehen mochte. Wenn es gut gelaufen war, hatte längst eine Behörde in Washington den Fall übernommen.
»Ich habe meinen Vater angerufen, er kommt mich abholen«, unterbrach Mele seine Gedanken. »Er müsste so gegen zwei hier sein. Wir wollen dann unterwegs Dirk im Krankenhaus besuchen.« Sie blickte ihn über den Rand ihres großen Kaffeebechers hinweg an. »Hast du Lust mitzukommen?«
Paulus zögerte einen Moment. Er war sich über seine Gefühle für Mele nicht so recht im Klaren. Sie hatten gemeinsam Todesgefahren durchgestanden. Das hatte eine Nähe zwischen ihnen geschaffen, die mehr war als Freundschaft. Aber würde diese Nähe Bestand haben, wenn die Welt allmählich wieder zur Normalität zurückkehrte?Würde er auf Dauer mit einem Menschen klarkommen, der so unzuverlässig und launisch war?
Vielleicht war es besser, zunächst etwas Abstand zu gewinnen und sich die Zeit zu nehmen, das unfassbare Geschehen zu verarbeiten. »Ich muss erst mal nach Hamburg, mich um ein paar Dinge kümmern. Wir können ja telefonieren.«
»Ja, natürlich.« Mele senkte den Blick.
Sie frühstückten schweigend, jeder in seine Gedanken versunken.
»Glaubst du, wir haben das Richtige getan?«, fragte Mele unvermittelt.
»Was meinst du?«
»Dass wir zu den Amerikanern gegangen sind. War das richtig?«
»Was hätten wir denn sonst tun sollen?«
»Dirk wollte das Manuskript im Internet veröffentlichen. Ich habe heute Nacht lange wach gelegen und mich gefragt, ob er nicht vielleicht doch recht hatte. Was, wenn die Amerikaner es vermasseln?«
»Diese CIA-Leute machten mir einen kompetenten Eindruck«, versuchte Paulus sie zu beruhigen. »Und die Amerikaner sind die Einzigen, die überhaupt etwas tun können. Außerdem bleibe ich dabei: Im Internet hätte sich kein Mensch für die Geschichte interessiert, außer ein paar Paranoiden vielleicht.«
Mele nickte. »Wahrscheinlich hast du recht. Trotzdem werde ich das Gefühl nicht los, dass wir einen Fehler gemacht haben.« Plötzlich glitzerten Tränen in ihren Augen. »Wenn … wenn es wirklich einen Krieg gibt … wenn Millionen Menschen sterben, und wir … wir sind schuld …«
Paulus legte seine Hand auf ihre. »Wir haben getan, was wir konnten. Wir haben die Botschaft aus der Zukunftentschlüsselt und weitergegeben. Andere müssen jetzt entscheiden, was geschehen soll. Dass diese Typen, die auf Dirk geschossen haben, ihr Ziel am Ende nicht erreicht haben, ist doch schon mal was, oder?«
Sie nickte und lächelte schief, während Tränen über ihre Wangen liefen.
Sie beendeten das Frühstück. Um sich die Zeit zu vertreiben, bis Meles Vater eintraf, gingen sie im Tiergarten spazieren. Das Wetter war herrlich, es war warm, und der ausgedehnte Park war voller Menschen, die lachten, spielten, stritten, sich in den Armen hielten. Leute, die nicht wussten, welche Wendungen das Schicksal für sie bereithielt.
Paulus beneidete sie darum.
Um kurz vor zwei meldete sich Meles Vater über Paulus’ Handy. Sie trafen sich im Sony-Center am Potsdamer Platz unter dem futuristischen Segeltuch-Dach. Mele umarmte ihren Vater lange. Dann gab dieser auch Paulus die Hand. »Wenn Sie möchten, sind Sie
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