Die achte Offenbarung
Konsequenzen von Zeitparadoxa austauschten, oder esoterische Spinner, die überzeugt waren, schon die alten Ägypter, Mayas oder die Bewohner Atlantis’ hätten Besuch aus der Zukunft gehabt. Seriöse Wissenschaftler schienen sich dagegen kaum ernsthaft mit dem Thema auseinanderzusetzen. Immerhin fand er bei einem Onlineversand ein Buch des renommierten Physikers Paul Davies mit dem Titel »How to Build a Time Machine«. Er bestellte es, ohne jedoch zu erwarten, dass darin tatsächlich eine praktisch umsetzbare Anleitung beschrieben wurde.
Gegen acht Uhr abends kehrte er in seine Wohnung zurück und aß vertrocknetes Vollkornbrot mit Scheibenkäse zum Abendbrot. Danach wählte er die Handynummer von Meles Vater, der ihn an Mele weiterreichte. Sie erzählte, dass Dirk operiert worden war und dass es ihm relativ gut ging. Die Polizei hatte ihn inzwischen befragt und eine Großfahndung nach dem Mann auf dem Motorrad eingeleitet, natürlich ohne Ergebnis. Dirk hatte Mele aufgetragen, sich in seinem Namen bei Paulus noch einmal zu entschuldigen und ihm für die Hilfe zu danken. Paulus fühlte sich ein wenig unwohl dabei, dass er Dirk nicht ebenfalls besucht hatte.
»Es ist schade, dass du nicht hier bist«, sagte Mele unvermittelt. »Ich weiß nicht, wie ich es die nächsten Tage aushalten soll. Dieses Warten …«
»Geht mir genauso.«
»Willst du nicht doch herkommen?«
»Ich … ich muss erst mal zur Uni. Ich rufe dich morgen an.« Er merkte, dass es wie eine Ausflucht klang.
»Okay«, sagte Mele. »Bis dann!« Sie legte auf, ehe er Gelegenheit hatte, den Eindruck zu korrigieren.
Als das Radio ihn am nächsten Morgen mit plärrender Popmusik weckte, hatte er für einen Moment das Gefühl, die ganze Geschichte mit dem Manuskript nur geträumt zu haben. Dann kamen die Nachrichten. Man ging nach ersten Erkenntnissen davon aus, dass der Anschlag in Lourdes von islamistischen Terroristen begangen worden war, obwohl sich bisher keine Organisation dazu bekannt hatte. Für den heutigen Montag war vor Ort ein großer Trauergottesdienst angesetzt, zu dem sogar der Papst erwartet wurde.
Unter der Dusche ließ Paulus die Ereignisse der letzten Tage Revue passieren. Er wurde immer noch nicht recht schlau aus dem Verhalten der mysteriösen Fremden. Sie hatten sich einige Male seltsam unbeholfen verhalten und sich abhängen lassen wie Amateure, um dann unvermittelt wieder auf der Bildfläche zu erscheinen. Doch es erschien müßig, darüber zu grübeln. Anders als im Kino waren echte Terroristen eben auch nur Menschen, die sich hin und wieder ungeschickt anstellten.
Nach einem kargen Frühstück ging er ins Büro. Es kam ihm seltsam vor.
Daisy begrüßte ihn mit sorgenvoller Miene. »Wie geht es dir?«
»Okay«, sagte er verwirrt. Sie konnte doch nichts von den Strapazen der letzten Tage wissen! Dann erst fiel ihm ein, dass er ihr gegenüber von einer dringenden Familienangelegenheit gesprochen hatte, die er angeblich hatte regelnmüssen. »So eine Beerdigung ist nie schön, aber Onkel Edgar war schon fast neunzig.« Er war überrascht, wie leicht ihm die Lüge über die Lippen ging. Fast, als hätte Meles Talent auf ihn abgefärbt.
»Das tut mir leid«, erwiderte Daisy. »Übrigens will Degenhart dich sprechen. Er hat gesagt, du sollst direkt zu ihm gehen, wenn du wieder da bist.«
Paulus zuckte zusammen. Hatte etwa dieser Dr. Braun von der Universitätsbibliothek in Heidelberg Degenhart angerufen? Wenn herauskam, dass Paulus sich mit einer falschen Begründung freigenommen und historische Nachforschungen angestellt hatte, ohne seinem Chef etwas davon zu sagen, konnte das eine Menge Ärger geben.
Doch Degenhart empfing ihn ungewohnt freundlich. Er müsse für zwei Wochen in die USA, erklärte er, und brauche jemanden, der ihn bei seinen Vorlesungen vertrete. Ob Paulus sich das zutraue? Er sei der Meinung, dass auch er endlich die Chance verdiene, sich im Lehrbetrieb zu bewähren.
Paulus verkniff sich die Bemerkung, dass er bereits Dutzende von Seminaren gehalten und sich seiner eigenen Einschätzung nach längst »im Lehrbetrieb bewährt« hatte. Am liebsten hätte er abgelehnt und sich noch ein paar Tage freigenommen, um gemeinsam mit Mele auf die schrecklichen Ereignisse zu warten, die bald kommen mussten. Doch ihm fiel keine plausible Begründung dafür ein. Also tat er, als fühle er sich geehrt.
Er verbrachte den Rest des Vormittags damit, sich in den aktuellen Vorlesungsstoff einzuarbeiten. Es fiel ihm
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