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Die achte Offenbarung

Die achte Offenbarung

Titel: Die achte Offenbarung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Olsberg
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es nach Paulus’ Ansicht nicht zu erklären, dass sie kaltblütig ihren eigenen Reichtum gemehrt und solche perfiden Instrumente wie den Ablasshandel erfunden hatten, die doch offensichtlich nicht mit Gottes Geboten vereinbar waren.
    Kein Zweifel: Dieser ungeheure Bau war in erster Linie ein politisches Instrument gewesen, eine Demonstration der Macht der Kirche und gleichzeitig ein psychologischer Trick, der die Besucher einschüchtern, jeden Zweifel an der kirchlichen Lehre ausräumen und so ihren Einfluss weiter stärken sollte. Es war eine Ironie der Geschichte, dass der Dom inzwischen eine Touristenattraktion geworden war, die sich vor allem als Hintergrund für Familienfotos eignete – kaum anders als Neuschwanstein oder Disneyland.
    Paulus holte das Manuskript aus seiner Tasche und betrachtete es nachdenklich. War es das, was den Mönch so sehr belastet hatte? Hatte er sich Sorgen um die Entwicklung des Glaubens gemacht? Einige Passagen schienen das zu bestätigen: Zweifle nicht, denn der Zweifel ist die Saat des Teufels.
    Hatte er insgeheim etwas beobachtet, das in ihm Zweifel am wahren Glauben eines hohen Kirchenvertreters geweckt hatte? Einen Frevel vielleicht, ein vertrauliches, offenes Gespräch zwischen zwei Klerikern oder gar einketzerisches Dokument? Das hätte einen Mönch des Mittelalters durchaus so sehr erschrecken können, dass er diese Erkenntnis zwar für die Nachwelt erhalten wollte, sie aber gleichzeitig verschleiert hatte, vielleicht, um seine Loyalität zu dem Betreffenden nicht zu verraten.
    Aber würde das auch erklären, warum dieser merkwürdige Araber hinter dem Manuskript her war?
    Er sah auf die Uhr: fast elf. Zeit für einen Besuch in einer der berühmtesten Kirchen der Welt.

8.
Köln, Sonntag 10:53 Uhr
    Dunkelheit, Kühle und ein leichter Geruch von Weihrauch empfingen Paulus. Vor ihm erstreckte sich das gewaltige Hauptschiff mit seinen vierzig Meter hohen Säulen auf einer Länge von mehr als hundert Metern. Die Sonne ließ die turmhohen, bunten Glasfenster in einer Intensität erstrahlen, die ihn mehr beeindruckte, als es jede moderne Lasershow vermocht hätte.
    Erfüllt von Ehrfurcht vor den Menschen, die dieses Bauwerk errichtet hatten, blieb Paulus stehen. Er blendete das Gemurmel und das Klicken der Kameras aus und stellte sich vor, wie es für Hermo von Lomersheim gewesen sein musste, als er als junger Mann an dieser Stelle stand.
    Die Kathedrale musste zu jener Zeit voller Menschen gewesen sein, die weite Wege auf sich genommen hatten, um sie zu besuchen – beinahe so wie jetzt. Doch die Besucher hatten keine Pauschalreisen gebucht, waren nicht mit bequemen Flugzeugen oder Autos angereist. Die meisten von ihnen hatten den Weg nach Köln zu Fuß zurückgelegt, denn Pferde und erst recht Kutschen waren für Normalbürger unerschwingliche Luxusgüter gewesen.
    Hermo musste von Maulbronn bis hierher mehrere Wochen unterwegs gewesen sein – Wochen, in denen er sich geistig auf das Ziel seiner Reise vorbereitet und sich auf diesen Moment gefreut hatte. Sicher war er überwältigt von der Pracht der Kathedrale in die Knie gegangen und hatte gebetet, vielleicht sogar vor Freude geweint.
    Paulus schritt durch das rechte Seitenschiff. Sein Blickwanderte an den Säulen empor bis zu den bunten Fenstern des Oberchores, die sich etwa fünfzehn Meter über ihm befanden. Einige von ihnen waren so hoch wie ein fünfstöckiges Haus. Am unteren Ende jedes Fensters waren je nach der Breite zwei oder vier überlebensgroße Figuren in prachtvollen Gewändern dargestellt, die Häupter mit Kronen geschmückt, in den Händen ein Zepter und eine Kugel, genau wie auf der Zeichnung in dem Manuskript. Jeder Zweite von ihnen trug einen Bart.
    Da waren sie: insgesamt 48 Könige, die Alten neben den Jungen, im Lichte Gottes erstrahlend.
    Unter jedem König war ein Wappen angebracht, doch es handelte sich nicht um die Insignien von Königshäusern, sondern um Stifterwappen. Glasfenster wie diese waren im Mittelalter sehr teuer gewesen und von reichen Kaufleuten oder Adligen bezahlt worden, die sich so eine Eintrittskarte ins Paradies hatten erkaufen wollen. Als Zeichen ihrer Frömmigkeit waren ihre Wappen in die Fenster eingearbeitet worden. Vielleicht hatten sie damit die Hoffnung verbunden, dass die gute Tat nicht nur ihnen selbst, sondern auch ihren Nachkommen beim Jüngsten Gericht einen Bonus verschaffen würde.
    Erschöpft von der Reise musste sich Hermo auf eine der groben Holzbänke gekniet

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