Die achte Offenbarung
Hilfe konnte er weiß Gott gebrauchen. »Ja.« Er holte das Kästchen aus seiner Tasche.
»Darf ich … das mal sehen?«, fragte Dirk.
Paulus nickte.
Die Art, wie der Student das Buch ehrfurchtsvoll betrachtete, mit äußerster Vorsicht den Deckel öffnete und die Seiten voller geheimnisvoller Glyphen betrachtete, machte ihn Paulus sympathisch. Sie schienen eine tiefe Ehrfurcht vor historischen Dokumenten zu teilen.
»Interessant.« Dirk schien beeindruckt zu sein, doch das Interesse, das kurzzeitig sein Gesicht hatte aufleuchten lassen, verschwand wieder hinter einem missmutigen Ausdruck. »Und was steht da drin?«
»Das weiß ich noch nicht«, sagte Paulus. Er verzichtete darauf, zu erklären, was er schon über das Dokument wusste.
»Und was machst du hier in Köln?«
»Ich habe Hinweise darauf, dass das Manuskript voneinem Mönch aus dem Kloster Maulbronn im Schwarzwald geschrieben wurde, der Anfang des 15. Jahrhunderts eine Wallfahrt nach Köln gemacht hat. Ich habe gehofft, im Kölner Dom vielleicht Hinweise auf das Schlüsselwort zu finden, mit dem das Buch codiert ist.«
»Das klingt nach einer bekloppten Dan-Brown-Geschichte.«
»Ja, ich weiß«, erwiderte Paulus nur.
»Dirk mag Dan Brown nicht besonders«, erklärte Mele ungebeten. »Er ist nämlich selber auch Schriftsteller.«
Paulus betrachtete Dirk mit neuem Interesse. Er hatte selbst einmal mit dem Gedanken gespielt, einen historischen Roman über die Hanse zu schreiben, und auch ein Exposé und die ersten paar Seiten angefertigt, besaß jedoch nicht die erforderliche Ausdauer, um das Projekt zu Ende zu bringen. »Du schreibst?«
Der Student winkte ab. »Na ja, ich studiere Germanistik, und hin und wieder muss man da natürlich auch mal was schreiben.«
»Er schreibt Gedichte«, fügte Mele hinzu.
Dirk warf ihr einen Blick zu, in dem tiefe Verletzung lag.
Paulus begriff, dass es zwischen den beiden Spannungen gab, die mehr waren als das übliche Geplänkel zwischen Mitbewohnern. »Ehrlich gesagt habe ich Hunger«, sagte er, um das Thema zu wechseln. »Darf ich euch beide zum Essen einladen?«
»Nein danke«, sagte Dirk. »Ich habe schon gegessen.«
»Gerne«, sagte Mele fast gleichzeitig.
»Wir haben noch Tiefkühlpizza«, meinte Dirk.
»Die gehört doch Mike«, erwiderte Mele.
»Ihr könnt ihm ja morgen neue kaufen.«
»Ist schon okay«, schaltete sich Paulus ein. »Es gibt hier in der Gegend doch bestimmt irgendwo eine Pizzeria?«
»Unten an der Ecke ist ein guter Döner-Laden«, meinte Mele.
»Also, was steckt wirklich hinter diesem Buch?«, fragte sie, als sie zehn Minuten später an einem Stehtisch vorzügliche Geflügeldöner aßen.
Paulus betrachtete sie. War es nur ihre beinahe kindliche Neugier, die sie zu dieser Frage trieb? Ihre großen, hellblauen Augen musterten ihn aufmerksam. Ihre leicht gebogene Nase war ein wenig zu groß, aber das verlieh ihrem ansonsten fein geschnittenen Gesicht Charakter. Sie war auf eine seltsame, charismatische Weise gutaussehend.
Er beschloss, ihr zumindest ein Stück weit zu vertrauen. »Es ist wirklich so, wie ich gesagt habe.« Er erzählte ihr, wie Lieberman ihn angesprochen und ihm das Buch gegeben hatte.
Mele hörte aufmerksam zu. »Und du weißt wirklich nicht, wer es geschrieben hat und was da drinsteht?«, fragte sie, nachdem er geendet hatte.
»Ich habe erst einen Teil entschlüsselt. Anscheinend handelt es sich um das Testament eines Mönchs namens Hermo von Lomersheim. Er berichtet davon, dass ihm dreimal ein Engel erschienen sei und ihm irgendwelche Dinge verraten habe, die erst lange nach seinem Tod bekannt werden dürften.«
»Ihm ist ein Engel erschienen? Wow!«
»Na ja, das war natürlich kein richtiger Engel. Vielleicht hat er Halluzinationen gehabt. Ich glaube aber eher, dass er etwas beobachtet oder erfahren hat, was er eigentlich nicht wissen durfte. Deshalb hat er den Engel erfunden, um zu verschleiern, wie er tatsächlich an die Information gekommen ist.«
»Und was hat der Engel ihm gesagt?«
»Das weiß ich noch nicht. Es wurde auf eine komplizierte Art verschlüsselt, für die man ein Codewort braucht.«
»Ein Codewort? Was für ein Codewort?«
»Wenn ich das wüsste, wäre ich nicht hier. Hermo erwähnt eine Pilgerfahrt zur letzten Ruhestätte der ›heiligsten Könige‹, wie er es nennt. Ich vermute, dass er im Kölner Dom war.«
»Na klar«, stimmte Mele zu. »Die Heiligen Drei Könige sind doch im Dreikönigenschrein aufgebahrt. Glauben jedenfalls
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