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Die achte Offenbarung

Die achte Offenbarung

Titel: Die achte Offenbarung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Olsberg
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schnell.«
    Paulus setzte sich an Dirks Schreibtisch, der bis auf den Computer leer war. Das ganze Zimmer strahlte eine fastmönchische Askese aus. Es gab nur ein Bett, einen Kleiderschrank und ein Bücherregal, das überwiegend mit literarischen Klassikern besetzt war. Keine Bilder an den Wänden, keine Fotos, keine persönlichen Erinnerungsstücke. Paulus war sich nicht sicher, was das über den Charakter seines Bewohners aussagte.
    Die Suchmaschine fand auf Anhieb mehrere Quellen, in denen behauptet wurde, dass die 24 alten Könige die Ältesten der Apokalypse darstellten, die 24 jungen Könige dagegen die Könige Judas, die alttestamentlichen Vorgänger Jesu Christi.
    Paulus bedankte sich bei Dirk und kehrte ins Wohnzimmer zurück. Er versuchte es zuerst mit dem lateinischen Wort »Apocalypsis«, das aus dem Griechischen entlehnt war und »Offenbarung« bedeutete – bei näherer Betrachtung ein beinahe schon triviales Schlüsselwort.
    Paulus’ Puls beschleunigte sich, als er mit Hilfe von Vigenères Tabelle Buchstabe für Buchstabe ersetzte. Der Anfang lautete: AIN JONGFRAW
    Eine Jungfrau. Das sah eindeutig nach Frühneuhochdeutsch aus. Doch als er fortfuhr, machte sich Enttäuschung in ihm breit.
    AIN JONGFRAW EHDO YNJ
    Was zum Kuckuck sollte »EHDO YNJ« bedeuten? Das war weder Deutsch noch Latein noch Griechisch oder sonst irgendeine Sprache, die Paulus kannte. Die ersten Zeichen schienen doch darauf hinzudeuten, dass das Schlüsselwort richtig war – selbst eine solche relativ kurze Buchstabenfolge konnte kaum zufällig entstanden sein. Aber wieso funktionierte die Verschlüsselungsmethode nur am Anfang? Hatte Hermo von Lomersheim etwa mitten im Text noch einmal das Verschlüsselungsverfahren gewechselt?
    Er versuchte es weiter – vielleicht hatte Hermo beim Kodieren einfach nur einen Fehler gemacht. Doch auch die folgenden Buchstaben ergaben keinen Sinn.
    Ihm fiel ein, dass es eine Variante der Vigenère-Verschlüsselung gab, bei der nur der Anfang des Textes mit dem Schlüsselwort codiert wurde. Danach benutzte man den Originaltext als Schlüssel. Dieses recht umständliche Verfahren sollte verhindern, dass eine Schwachstelle kurzer Codewörter – die Wiederholung – für Angriffe genutzt werden konnte, war jedoch erst viel später beschrieben worden.
    Trotzdem probierte Paulus es, indem er den Anfang des Textes – »Ain Jongfraw« – an das Schlüsselwort »Apocalypsis« anhängte. Doch auch das erbrachte keinen lesbaren Text.
    Erst, als er der Verzweiflung nahe war, begriff er, dass er eine ganz einfache Möglichkeit übersehen hatte. Der Schlüssel konnte ja auch aus mehreren Wörtern bestehen.
    Er probierte es aus, indem er das Wort Apocalypsis durch den lateinischen Namen des Propheten, Ioannis, ergänzte. Und plötzlich formten sich aus dem Buchstabengewirr Wörter und Sätze.
    Buchstabe für Buchstabe setzte Paulus den Text zusammen.

10.
Fort Meade, Maryland, Sonntag 14:03 Uhr
    Wilson Claude starrte auf seinen Monitor in einem durch Schallschutz-Trennwände unterteilten Großraumbüro im dritten Stock des Hauptquartiers der National Security Agency. Der Bildschirm zeigte einen Textausschnitt, den die Maschine in einem Internetforum aufgeschnappt hatte, in dem sich vorwiegend Moslems über religiöse Fragen austauschten. Dort wurde in einem Thread heftig darüber gestritten, ob der Tod Osama Bin Ladens von der CIA nur vorgetäuscht worden war und der Al-Quaida-Anführer in Wahrheit noch lebte. In dem Textauszug, der der Maschine aufgefallen war, stand der Satz: »Er lebt jetzt inkognito in Oman und plant von dort den nächsten Anschlag auf Einrichtungen der USA im Mittleren Osten .« Die Schlüsselworte »inkognito«, »Oman«, »Anschlag«, »USA« und »Mittleren Osten« waren rot markiert.
    Wilson war kein Techniker. Er hatte allenfalls eine grobe Vorstellung davon, wie das gigantische Computersystem funktionierte, das dem Hörensagen nach drei unterirdische Stockwerke des Hauptquartiers der NSA belegte und das alle nur die Maschine nannten. Angeblich handelte es sich um ein riesiges neuronales Netz, verteilt auf Dutzende von Supercomputern. Gerüchten zufolge bestand sein Herz aus neuartigen Quantencomputern, die die Leistung herkömmlicher Parallelrechner um das Hunderttausendfache übertrafen. Es war das mit Abstand leistungsfähigste Computersystem, das die Menschheit je gebaut hatte, soviel war sicher. Wilson wusste zumindest,dass auf dem Gelände ein eigenes Kraftwerk betrieben

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