Die achte Offenbarung
das Universum immer schneller ausdehnt. Wir haben keinen blassen Schimmer, wohin die ganze Antimaterie verschwunden ist, die unseren physikalischen Theorien zufolge während des Urknalls entstanden sein muss. Wir verstehen das Universum, in dem wir leben, nicht mal ansatzweise. Newton hat gesagt: ›Was wir wissen, ist ein Tropfen, was wir nicht wissen, ein Ozean.‹ Daran hat sich seitdem kaum etwas geändert.«
Paulus’ Respekt vor Dirk wuchs. »Woher weißt du so viel über Physik?«
»Ich lese nun mal gern. Als Jugendlicher habe ich populärwissenschaftliche Bücher verschlungen. Ich habe sogar mal überlegt, ob ich Physik studieren soll. Aber Mathematik war nie meine große Stärke.«
»Also schön, wir wissen vieles nicht. Aber deshalb müssen wir noch lange nicht an irgendwelchen übersinnlichen Hokuspokus glauben. Oder willst du mir ernsthaft erzählen, dass einem Mönch im Mittelalter ein Engel erschienen ist, der ihm die Zukunft vorhergesagt hat?«
»Es gibt nur zwei Möglichkeiten«, sagte Dirk. »Entweder ist das Manuskript eine Fälschung, oder der Mönch hat tatsächlich auf irgendeine Weise Wissen erlangt, das er eigentlich nicht haben konnte.«
»Willst du damit sagen, dass du an Engel glaubst?«
»Nein, natürlich nicht. Jedenfalls nicht in dem Sinn, dass sie übernatürliche Wesen sind, die im Auftrag Gottes das Schicksal der Menschen lenken. Aber Zukunftsvisionen haben Menschen schon immer gehabt. Vielleicht gibt es dafür ja eine ganz plausible Erklärung.«
»Und die wäre?«
»Es könnten tatsächlich Botschaften aus der Zukunft sein.«
»Botschaften aus der Zukunft? Wie soll das denn gehen?«
»Wenn ich das wüsste, wäre ich ein Anwärter auf den Physik-Nobelpreis. Aber bloß, weil ich es nicht weiß, heißt das nicht, dass es nicht möglich ist.«
»Ich dachte, Zeitreisen wären aufgrund der physikalischen Gesetze ausgeschlossen.«
»Das sind sie definitiv nicht. Es gibt sogar physikalische Phänomene, die darauf hindeuten, dass unter Umständen die normale Reihenfolge von Ursache und Wirkung aufgehoben ist. Und zumindest in der Theorie könnte man mit Hilfe eines Wurmlochs in die Vergangenheit reisen.«
»Ein Wurmloch? Ist das nicht etwas aus Star Trek?«
»Niemand hat bisher ein Wurmloch gesehen, aber inder physikalischen Theorie gibt es sie tatsächlich. Es sind quasi Abkürzungen im Raum. Durch sie könnte man theoretisch schneller als das Licht reisen und unter bestimmten Umständen sogar in die Vergangenheit.«
»Aber das ist doch Unsinn! Wenn es Zeitmaschinen gäbe, dann könnte ich in die Vergangenheit reisen und meinen eigenen Großvater töten. Dann würde ich nicht geboren und könnte nicht zurückreisen, um ihn zu töten. Das wäre ein Paradoxon.«
»Nur scheinbar. Es ist durchaus vorstellbar, dass du in die Vergangenheit reisen und sie verändern könntest. Das wäre dann nur nicht mehr deine eigene Vergangenheit.«
»Was soll das denn heißen?«
»Nach der Viele-Welten-Interpretation der Quantenmechanik gibt es nicht nur ein Universum, sondern unendlich viele. Wenn du die Vergangenheit veränderst, erzeugst du quasi einen neuen Strang von Universen, in denen sich aufgrund deines Eingriffs eine neue Zukunft ergibt. Du würdest zwar nicht deine eigene Welt verändern, aber die Zukunft für die Menschen dieser Paralleluniversen.«
»Warum sollte ich das tun wollen?«
Dirk zuckte mit den Schultern. »Keine Ahnung. Ich sage ja nur, dass es prinzipiell möglich wäre. Ich behaupte nicht, dass das die Erklärung ist, aber ich kann sie auch nicht absolut ausschließen. Alles, was ich will, ist dir klarmachen, dass die Lösung für dieses Rätsel vielleicht nicht so simpel ist, wie du denkst. Aber ich fürchte, ich bin nicht der Richtige, um dir das in allen Einzelheiten zu erklären. Ich glaube, ich sehe jetzt lieber mal nach Mele.«
Damit verschwand Dirk.
Paulus starrte nachdenklich auf die Blätter vor sich. Er hatte um Science-Fiction-Romane immer einen weitenBogen gemacht. Aber konnte er Dirks Gedanken einfach als Unsinn abtun? War es nicht tatsächlich so, dass die moderne Physik Dinge bewiesen hatte, die scheinbar jeder Vernunft und Logik widersprachen? Auf dem Gymnasium hatte ihm sein Physiklehrer einmal das Zwillingsparadoxon erklärt, das aus Einsteins Relativitätstheorie folgte. Demnach verging die Zeit an Bord eines sehr schnell fliegenden Raumschiffs langsamer. Ein Astronaut konnte ein Jahr unterwegs sein, während für seinen Zwillingsbruder auf der
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