Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die achte Offenbarung

Die achte Offenbarung

Titel: Die achte Offenbarung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Olsberg
Vom Netzwerk:
Zukunft ist wohl noch weiter hergeholt.«
    »Vielleicht. Brauchst du das Internet noch? Ich würde sonst gern ein wenig arbeiten.«
    »Einen Moment, ich brauche nur noch den Text der 55. These des Syllabus Errorum.«
    Es dauerte nicht lange, ihn zu finden. Paulus notierte sich die lateinische Originalversion und die deutsche Übersetzung:
    Ecclesia a statu statusque ab Ecclesia seiungendus est.
    Die Kirche ist vom Staat und der Staat von der Kirche zu trennen.
    Dieser Satz hätte für einen Mönch aus dem Mittelalter wie schlimmste Ketzerei geklungen. Im 19. Jahrhundert stand er im Zentrum einer heftigen Auseinandersetzung zwischen der Kirche und den neuen politischen Strukturen, die sich in Europa zu bilden begannen und die sich von der jahrhundertelangen Herrschaft der Kirche lösten. Vielleicht hatte der Autor des Manuskripts sein Werk als Religionskritik formuliert? Einige Formulierungen im bisherigen Text deuteten darauf hin, dass der Verfasser der Meinung war, die Kirche sei im Laufe der Geschichte vom rechten Weg abgekommen.
    Paulus kam der Gedanke, der Autor selbst könnte der Gründer einer geheimen Religionsgemeinschaft sein. Vielleicht war das Buch eine Art Bibel – so ähnlich wie das Buch Mormon, die Heilige Schrift der Mormonen, die erst Anfang des 19. Jahrhunderts verfasst worden war. Das würde erklären, warum Fanatiker hinter dem Buch her waren, und auch, woher sie den Inhalt kannten. Die Geheimniskrämerei ergab vor diesem Hintergrund ebenfalls Sinn. Man hatte im 19. Jahrhundert in Europa durchaus noch in Schwierigkeiten kommen können, wenn man das Falsche glaubte. Möglicherweise war einer von Paulus’ Vorfahren Mitglied dieser geheimen Religionsgemeinschaft gewesen und hatte das Buch an Paulus’ Urgroßvater vererbt. Vielleicht hatte die Sekte zur Nazizeit noch existiert und insgeheim gegen das Hitler-Regime agiert – das würde auch die mutigen Taten seiner Großmutter, ihre Verhaftung und vielleicht ihren Tod erklären.
    Er bedankte sich noch einmal bei Dirk, setzte sich wiederins Wohnzimmer und begann, die Glyphen im dritten Teil mit Hilfe des lateinischen Schlüsselsatzes und der Vigenère-Tabelle zu übersetzen. Er experimentierte eine Weile mit verschiedenen Varianten des Pius-Satzes und kombinierte ihn versuchshalber mit dem Schlüssel aus dem vorherigen Abschnitt, doch wie er vermutet hatte, ergab sich jedes Mal nur unverständlicher Buchstabensalat. Er brauchte den zweiten Teil des Schlüssels – das Buch, das mit dem Bild eines siebenköpfigen Tieres geschmückt war.
    Während Paulus noch überlegte, was er nun machen sollte, kam Mele ins Wohnzimmer. Ihre Augen waren immer noch leicht gerötet. Sie lächelte verlegen. »Hallo!«
    Paulus erwiderte das Lächeln. »Hallo!«
    »Bist du weitergekommen?«
    »Ja und nein. Ich stecke fest, weil mir der zweite Teil des Schlüssels fehlt. Aber ich habe jetzt eine Theorie, welche Bedeutung das Manuskript haben könnte und warum dieser Unbekannte es unbedingt haben will.« Er erzählte ihr von seinen Gedanken.
    »Du siehst also, du musst dir keine Sorgen machen«, schloss Paulus. »An diesem Manuskript ist nichts Mysteriöses oder Übernatürliches. Es ist einfach ein religiöses Werk, das irgendwelche Spinner als heilig betrachten.«
    »Du denkst, Leute, die an Gott glauben, sind verrückt?«
    »So hab ich das nicht gemeint. Aber Leute, die in Wohnungen einbrechen und mit Waffen herumfuchteln, aus welchen Gründen auch immer, sind definitiv Spinner. Früher mag diese geheime Religionsgemeinschaft einmal hehre Ideale gehabt haben. Vielleicht wurde sie im Laufe der Jahrzehnte radikalisiert und ist inzwischen zu einer Art Terrororganisation mutiert.«
    Mele schien nicht überzeugt zu sein, doch sie argumentierte nicht weiter. »Was willst du jetzt machen?«
    »Ich muss den zweiten Schlüssel finden. Ich habe ein Bild dieser Zeichnung hier an einen Freund geschickt, der sich mit alten Büchern auskennt. Vielleicht kann er …«
    Genau in diesem Moment klingelte Paulus’ Handy. Doch es war nicht Frank. Der Anrufer war Olaf Lang, dem er vorhin auf die Mailbox gesprochen hatte.
    Olaf war Physiker. Paulus hatte ihn kennengelernt, als sie beide einmal am Hanse-Marathon teilgenommen hatten. Sie hatten danach noch ein paar Mal zusammen trainiert, sich dann aber irgendwann aus den Augen verloren. Soviel Paulus wusste, arbeitete Olaf immer noch an seiner Promotion in theoretischer Physik.
    »Hallo, Paulus. Lange nicht mehr gesprochen. Wie geht’s dir?

Weitere Kostenlose Bücher