Die achte Offenbarung
drittes Mal! Gib mir das Buch, oder du kannst was erleben!«
»Beruhige dich, Paulus«, mischte sich Mele ein. »Er hat es nicht böse gemeint. Er wollte uns doch bloß schützen.«
»Uns schützen?« Paulus drehte sich zu ihr um. »Das meinst du doch nicht ernst, oder? Dein sauberer Mitbewohner hat gedacht, er kann dich beeindrucken, wenn er den Helden spielt. Er ist in dich verknallt und glaubt wahrscheinlich, wenn er derjenige ist, der das Buch übersetzt, dann hältst du ihn für den Auserwählten!«
Dirk spürte, wie das Blut in sein Gesicht schoss. Noch nie in seinem Leben war er derartig bloßgestellt und gedemütigt worden. Sein Magen krampfte sich vor Wut zusammen.
Paulus wandte sich wieder ihm zu und streckte die Hand aus. »Jetzt gib mir endlich das Buch, sonst …«
Dirk verlor die Beherrschung. Er senkte den Kopf und machte einen Satz nach vorn, so dass sein Schädel Paulus an der Brust unter dem Kinn traf. Der Hamburger taumelte zurück, stolperte über einen Stuhl und schlug hin.
Dirk sprang an ihm vorbei und rannte in Richtung der Wohnungstür, das Buch immer noch an seine Brust gepresst.Er dachte nicht nach. Er wollte bloß weg von hier, weg von Meles mitleidigen Blicken und Paulus’ Aggressivität. Und auf keinen Fall wollte er diesem ignoranten Mistkerl das Buch überlassen.
»Dirk, nicht!« Mele setzte ihm nach.
Er schaffte es, die Tür hinter sich zuzuschlagen, bevor sie ihn erreichte. Er sprang die Treppe hinab, durch den kleinen Flur und zum Hinterausgang hinaus, der in einen spießigen Garten mit Grillplatz und Goldfischteich führte. Auf der anderen Seite befand sich eine Holztür, die direkt zum Waldrand führte. Wenn er es bis dahin schaffte …
Er hörte Meles Schritte hinter sich. Sie war schnell und geschmeidig wie eine Raubkatze. Bevor er auch nur die Hand auf die Klinke der Gartentür legen konnte, hatte sie ihn erreicht.
Er spürte ihre Hand auf seiner Schulter. »Dirk, bitte! Mach es nicht noch schlimmer!«
Er drehte sich um. In ihrem Blick lag kein Zorn, sondern nur Bedauern. Er begriff, dass er jeglichen Respekt verspielt hatte, den sie vielleicht jemals für ihn empfunden hatte. Tränen stiegen ihm in die Augen. Verzweifelt versuchte er, sie beiseitezublinzeln. Nicht auch noch vor ihr heulen!
»Gib mir das Buch«, sagte sie, sanft, wie man mit einem verängstigten Kind spricht.
Mit zitternden Händen reichte er es ihr.
Paulus war inzwischen am Hintereingang erschienen, die Aufzeichnungen unter den Arm geklemmt. »Komm, lass uns gehen«, rief er Mele zu, ohne Dirk auch nur eines Blickes zu würdigen.
Zum ersten Mal in seinem Leben wusste Dirk, was das Wort Hass wirklich bedeutete.
26.
Olsberg-Bruchhausen, Mittwoch 17:53 Uhr
»Diesmal warst du es, der zu weit gegangen ist«, behauptete Mele, als sie in den Mietwagen stiegen.
»Ich? Was hab ich denn bitte gemacht?«
»Du hast Dirk gedemütigt und bis auf die Knochen blamiert! Ich kenne ihn. Er wird das so schnell nicht vergessen.«
Paulus schüttelte den Kopf vor Unverständnis. »Er hat mir mein Manuskript geklaut, schon zum zweiten Mal! Und dann hat er mich auch noch angegriffen und versucht abzuhauen. Was hätte ich denn machen sollen? Eine Tasse Erdbeertee mit ihm trinken und alles in Ruhe diskutieren?« Es überraschte ihn, wie sehr ihn Meles Tadel traf. Das war einfach ungerecht!
Sie schwieg.
Paulus steuerte den Wagen die Straße entlang, die sie gekommen waren.
»Was ist mit dem Schlüssel?«, fragte Mele nach einer Weile.
»Den hab ich in der Wohnung gelassen. Dirk kann ihn seinem Vater selbst zurückgeben.«
»Und wo fahren wir jetzt hin?«
Er wusste es selbst nicht so genau. Er hatte, ohne nachzudenken, den Weg zurück Richtung Köln eingeschlagen. Aber es war natürlich ausgeschlossen, zu Meles WG zurückzukehren. Nach Hamburg konnte er auch nicht, ohne eine Konfrontation mit seinen Verfolgern zu riskieren.
»Am besten nehmen wir uns irgendwo ein Hotelzimmer und arbeiten weiter an dem Manuskript.«
»Die Gegend hier sieht schön aus. Hier gibt es bestimmt Pensionen, die nicht so teuer sind.«
Paulus schüttelte den Kopf. Er wollte nicht in der Nähe der Ferienwohnung der Mausers bleiben. Am besten suchten sie sich irgendwo ein anonymes Hotel nahe der Autobahn.
Kurz hinter der Ausfahrt Remscheid fanden sie eine Autobahnraststätte mit Motel. Paulus versicherte sich an der Rezeption, dass für die Gäste ein öffentlicher Computer zur Verfügung stand, und buchte zwei Einzelzimmer.
Der
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