Die achte Offenbarung
Computer stand in einer Ecke der Lobby und verfügte über einen angeschlossenen Laserdrucker. Paulus fühlte sich nicht wohl dabei, hier in aller Öffentlichkeit an dem Manuskript zu arbeiten. Also schob er nur die CD mit den Fotos der Armenbibel ins Laufwerk und druckte die Offenbarung des Johannes aus.
Als er sein Zimmer betrat, stellte er überrascht fest, dass das Fenster einen idyllischen Blick auf einen kleinen Stausee gleich neben der Autobahn freigab. Er hielt sich jedoch nicht lange mit der Aussicht auf, sondern ging mit Mele gleich an die Arbeit.
Zwei Stunden später machten sie eine Pause. Paulus überflog noch einmal den Text, den sie bisher entschlüsselt hatten:
Einer wird kommen, gelehrt im Glauben, doch wird er diesen verraten. Mit dem Schiff wird er über die Meere fahren, um zu suchen, was ihn in seinen Irrungen bestärkt. Denn wer den Irrglauben sucht, der wird ihn finden, und wer falsche Zeichen sucht, der wird sie finden, und wer nach falschem Wissen trachtet, der wird seine Augen vor der wahren Erkenntnis verschließen. Gottes Schöpfung selbst wird jener verleugnen mit kunstvollen Worten. Den Menschen wird erdem Tiere gleich machen, auf dass die Menschen sich gebärden wie die Tiere. Seinen Frevel wird er kundtun in einem Buche, und viele werden den falschen Worten glauben, denn lange schon trachten sie danach, sich über Gott selbst zu erheben. Und jene Irrung wird die Wahnsinnigen dazu verleiten, den größten aller Frevel zu begehen und Leben zu erschaffen. Doch Gott wird sie dafür strafen. Dieses war die sechste Offenbarung.
An dieser Stelle waren wieder astronomische Zeichen eingefügt.
»Wir sollten noch mal an den Computer und das Datum checken«, sagte er. »Dann können wir was essen, wenn du willst.«
Mele nickte. »Gute Idee.«
Im Internet fanden sie Bestätigung für Paulus’ Vermutung: Die Planetenkonstellation stimmte exakt mit dem Datum der Veröffentlichung von Charles Darwins »Die Entstehung der Arten« am 24. November 1859 überein.
Sie gingen in die Hotelbar, wo Paulus für sich ein Käsesandwich und einen Kaffee und für Mele einen Thunfischsalat und eine Cola bestellte.
»Meinst du, das hat was zu bedeuten?«, fragte Mele, während sie auf das Essen warteten.
»Was?«
»Dieser letzte Absatz. Das mit dem Frevel und dem Leben-Erschaffen und der Strafe Gottes.«
»Natürlich hat das was zu bedeuten. Der Autor war offensichtlich kein Fan Darwins. Damals lief die Kirche Sturm gegen die Veröffentlichung seines Buchs. Die Bischöfe und Priester jener Zeit haben von ihren Kanzeln dagegen gewettert und vermutlich allen, die das Buch lasen, ewige Verdammnis angedroht. Die Vorstellung, vonaffenähnlichen Vorfahren abzustammen, empörte aber auch viele weltlich eingestellte Menschen. Es gab Karikaturen in den Zeitungen, die Darwin als Affen zeigten.«
»Aber der Hinweis darauf, dass Menschen Leben erschaffen … die moderne Genetik … ist nicht erst vor kurzem ein künstliches Bakterium erschaffen worden, das sich selbstständig vermehren konnte? Wie hätte das jemand vor über hundert Jahren wissen können?«
»Er konnte es nicht wissen, aber er konnte darüber spekulieren. Mitte des 19. Jahrhunderts schrieb Jules Verne seinen Roman ›Von der Erde zum Mond‹, über hundert Jahre bevor die ersten Astronauten tatsächlich dort landeten. Und der Traum, künstliches Leben zu erzeugen, ist noch viel älter – schon im Mittelalter haben sich Alchimisten an der Erschaffung von Homunculi versucht. Es ist also naheliegender, als du denkst.«
»Trotzdem – könnte es nicht sein, dass … dass das Manuskript so was wie eine Warnung enthält? Dass dies ein Hinweis darauf ist, welche Gefahr uns droht?«
Paulus seufzte. »Lass uns nicht schon wieder darüber streiten. Wenn wir das Manuskript zu Ende übersetzt haben, werden wir hoffentlich klarer sehen.«
Der Kellner bewahrte Paulus davor, die Diskussion weiterführen zu müssen. Sie aßen schweigend und in Gedanken versunken. Mele schien nur wenig Appetit zu haben. Paulus dagegen vertilgte sein Sandwich mit Heißhunger.
Nach dem Essen setzten sie die Arbeit fort.
Entsetzt von diesen Freveln, fragte ich den Engel: Wie können die Sünden unterbunden und jene, die sich von Gottes Weg abwenden, zurück zu seinem Licht geführt werden? Der Engel aber sprach zu mir: Was geschrieben ist, ist geschrieben. Dies, was ich dir verkünde, ist nicht für jene bestimmt,die schändliche Taten begehen werden, noch für jene, die
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