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Die Achte Suende

Die Achte Suende

Titel: Die Achte Suende Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philipp Vandenberg
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brauche, werde ich mich mitzuteilen wissen«, geiferte er. Und nach einem Blick durch das geöffnete Hauptportal, vor dem der Notarztwagen mit kreisendem Blaulicht wartete, fauchte der Kardinalstaatssekretär: »Schalten Sie endlich diese teuflischen Lichtspiele aus! Welchen Eindruck müssen fromme Christenmenschen gewinnen, wenn sie einen Einsatzwagen vor der Kirche San Sebastiano sehen.«
    »Sollten wir Sie nicht wenigstens in den Vatikan zurückbringen?«, fragte der Doktor besorgt. »Was immer man Ihnen angetan hat, Excellenza, das ist Ihre Sache. Und Sie werden Ihre Gründe haben, wenn Sie dieses Verbrechen der Öffentlichkeit verschweigen. Aber als Arzt habe ich die Pflicht, Sie auf die gesundheitlichen Risiken Ihres Zustandes aufmerksam zu machen.«
    »Ihr Eifer ehrt Sie, Doktor«, erwiderte Gonzaga, »aber er ist wirklich unbegründet. Geben Sie mir noch ein paar Minuten Zeit, bis ich mich wieder erholt habe.«
    »Wenn Sie es wünschen, Excellenza ...« Der Tonfall, in dem der Doktor antwortete, ließ unschwer erkennen, dass er mit dem Verhalten des Kardinalstaatssekretärs in keiner Weise einverstanden war.
    Während sich die Sanitäter mit ihrer Bahre ins Freie zurückzogen, nahm der Doktor in der letzten Kirchenbank Platz und zog sein Arbeitsjournal aus der Notarzttasche, in dem alle Einsätze festgehalten wurden. In kurzen Abständen warf er Gonzaga einen prüfenden Blick zu.
    Der Kardinal atmete tief und ließ die Atemluft geräuschvoll entweichen. Es war stickig in der Kirche, und die Luft schien wenig geeignet, Gonzagas Zustand zu verbessern.
    »Wollen Sie nicht besser ins Freie gehen?«, hörte er den Doktor sagen.
    Der Kardinal reagierte nicht. Er war zu sehr mit einem Gedanken beschäftigt, der ihn plötzlich überkam: Warum hatte man ihn ausgerechnet hierher, in die Basilika San Sebastiano gebracht? Zufall oder steckte eine wohldurchdachte Absicht dahinter?
    Unter der Kirche lagen kilometerlange Gänge, die gleichnamigen Katakomben, verborgen. Basilika und Katakomben waren dem Kardinal nicht unbekannt. Die unterirdischen Gräberfelder von San Sebastiano waren alljährlich das Ziel von vielen tausend frommen Pilgern. Sie waren nicht so ausgedehnt wie die nahe gelegenen Calixtus-Katakomben, nur ein paar Straßenzüge weiter. Dort türmten sich die Gänge vier Etagen übereinander, und mit über zwanzig Kilometern Länge waren sie geeignet, dass man sich in dem Labyrinth verlief.
    Die Katakomben von San Sebastiano hingegen nahmen für sich in Anspruch, den Begriff »Katakombe« geprägt zu haben.
Ad catacumbas,
bei den Höhlen, nannten die alten Römer schon in der Spätantike den geheimnisvollen Ort, über dem bereits unter Kaiser Konstantin eine Kirche errichtet worden war. Lange vor dem Bau von St. Peter sollen hier die Apostel Petrus und Paulus bestattet worden sein, nachdem sie den Märtyrertod erlitten hatten. Erst später wurden Kirche und Katakomben Sebastian geweiht, der hier auf grausame Weise zu Tode kam. Römische Schergen benützten den wehrlosen Mann als lebende Zielscheibe für ihre Pfeile, und als er noch immer Lebenszeichen von sich gab, knüppelten sie ihn mit Keulen nieder.
    Daran musste Gonzaga denken. Er starrte vor sich hin ins Leere. Und plötzlich war die eisige Stimme im Gefrierraum wieder gegenwärtig: Ich kann mir nicht vorstellen, dass Sie es darauf anlegen, ins
Martyrologium Romanum
aufgenommen zu werden ... Ein tiefgekühlter Märtyrer wäre auf jeden Fall etwas Neues!
    Das alles konnte kein Zufall sein, schoss es dem Kardinal durch den Kopf. Er begann zu frösteln, obwohl in dem Gebäude drückende Schwüle herrschte. Die Drahtzieher der Entführung hatten theologische Bildung. Oder sie verfügten über die Kenntnisse eines Altphilologen oder Althistorikers. Oder beides?
    Dem Doktor blieb der Tremor des Kardinals nicht verborgen.
    Aus dem Hintergrund tauchte der Küster von San Sebastiano wieder auf.
    »Sie sollten an die frische Luft gehen!«, mahnte der Notarzt.
    Gestützt vom Doktor und dem Küster, bewegte sich Gonzaga ins Freie, wo er sich auf einem Mauervorsprung niederließ.
    »Alles in Ordnung«, bemerkte der Kardinal, nachdem er sich schnell erholt hatte. »Ich hatte nur eine schreckliche Erinnerung.« Und an den Doktor gewandt: »Darf ich Ihr Mobiltelefon benutzen?«
    Der Notarzt reichte ihm sein Gerät. Gonzaga wählte eine Nummer und lauschte.
    »Himmelherrgott, so melden Sie sich schon!«, drängte er ungeduldig. Als er den missbilligenden Blick des Doktors

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