Die Achte Suende
Kreuzzeichen. Auf der Sitzbank des Mittelteils saß in verrenkter Haltung ein kahlköpfiger Mann mit geschlossenen Augen, so als wäre er tot.
»Bei der Heiligen Jungfrau«, stieß Salvatore hervor, und dabei zitterte sein Prophetenbart wie Espenlaub, »wenn ich nicht irre, ist das Excellenza Gonzaga, der Kardinalstaatssekretär!«
Eine ältere Reinemachefrau fiel auf die Knie und faltete die Hände. Eine andere stimmte eine weinerliche Totenklage an, wie im Süden des Landes üblich. Die beiden anderen schlugen die Hände vors Gesicht.
Salvatore trat näher an den leblosen Kardinal heran. Sein Gesicht war totenbleich, die Augen eingefallen. Erst nach einigen Minuten bemerkte er, dass die rechte Schläfe des Kardinals kaum merklich zuckte.
»Er lebt!«, rief der Küster aufgeregt. »Einen Notarzt, schnell!«
Eine der Frauen rannte zum Telefon in der Sakristei. Es dauerte nur zwei Minuten, und von irgendwoher näherte sich eine Sirene.
Salvatore hatte gerade das Hauptportal geöffnet, als ein weißer Notarztwagen mit heulender Sirene und blinkendem Blaulicht vor den Stufen zum Stehen kam.
Im Laufschritt legte der Arzt, ein drahtiger junger Mann von kaum dreißig Jahren, den Weg zum Beichtstuhl zurück, gefolgt von zwei Sanitätern mit einer Tragbahre.
»Es ist der Kardinalstaatssekretär«, empfing ihn der Küster und drängte die Reinemachefrauen beiseite. »Machen Sie schnell!«
Der weiß gekleidete Arzt legte ein Ohr auf die Brust des Kardinals, dann zog er dessen Augenlider hoch, um die Reflexe zu prüfen. Als er den Puls fühlen wollte, stutzte er: Die rechte Faust des Kardinals umklammerte eine zerknüllte Ampullenschachtel mit der Aufschrift »Dormicum 5x2 ml«.
Einer der Sanitäter sah den Doktor fragend an. Der blickte irritiert: »Ein Anästhetikum!«, bemerkte er tonlos.
»Das heißt, der Kardinal wurde mit einer Injektion betäubt und dann hier abgelegt?«
Der Notarzt nickte und nahm zuerst die rechte, dann die linke Armbeuge des bewusstlosen Mannes in Augenschein. »Hier«, sagte er und deutete auf zwei Einstiche. »Puls höchstens vierzig. Wir geben >Alenxade<, zwei Kubik.«
Aus dem Notarztkoffer reichte der Sanitäter dem Doktor eine Einwegspritze und die gewünschte Ampulle. Mit routinierter Hand setzte dieser die Injektion.
Nach wenigen Sekunden öffnete der Kardinal die Augen, zuerst das linke, dann das rechte. Erschrocken wie ein Hühnerhaufen stoben die Reinemachefrauen auseinander. Durch das Kirchenschiff hallten hysterische Rufe:
»Un miracolo, un miracolo
— ein Wunder!«
Der Doktor näherte sich dem Gesicht des Kardinals bis auf wenige Zentimeter: »Können Sie mich hören, Excellenza?«
»Ich bin ja nicht taub!«, erwiderte Gonzaga laut und in einem Anflug von Galgenhumor. »Wo bin ich?«
»In San Sebastiano an der Via Appia. Wissen Sie, wie Sie hierhergekommen sind?«, erkundigte sich der Notarzt vorsichtig.
Gonzaga schüttelte sich. »Mir ist kalt«, erwiderte er und rieb sich beide Arme. »Kein Wunder bei minus achtzehn Grad im Kühlraum eines Schlachthauses.«
»Die Reinemachefrauen haben ihn entdeckt«, ging der Küster, dazwischen, um das peinliche Gerede des Kardinals zu überspielen. »Der Seiteneingang der Kirche war unversperrt, obwohl ich bei der Madonna schwöre, ihn bei meinem Rundgang gestern Abend abgeschlossen zu haben.«
Der Notarzt musterte den Kardinalstaatssekretär besorgt: »Wir müssen die Polizei verständigen. Offensichtlich wurden Sie mit einer Injektion betäubt und gegen Ihren Willen hierhergebracht.«
»Keine Polizei!«, rief Gonzaga mit leiser gepresster Stimme. »Ich wünsche keine Polizei und darf um äußerste Diskretion bitten. Ich spreche in meiner Eigenschft als Kardinalstaatssekretär des Vatikans. Haben Sie mich verstanden?«
»Wie Sie wünschen, Excellenza!«, entgegnete der Doktor. »Allerdings erscheint es mir angebracht, Sie in die Gimelli-Klinik zur Untersuchung zu bringen. Ich weiß nicht, wie lange Ihre Ekphorie gedauert und ob sie bleibende Schäden hinterlassen hat. Ich möchte dringend anraten ...«
»Erst recht kein Klinikaufenthalt!« Der Kardinal fuchtelte wild mit den Händen herum. »Ich will jeden Skandal vermeiden. Wir verstehen uns?«
»Selbstverständlich.«
Unter großen Anstrengungen versuchte Gonzaga sich aus seiner unbequemen Haltung in dem barocken Beichtstuhl zu befreien. Als einer der Sanitäter ihm zur Hand gehen wollte, stieß er ihn so heftig von sich, dass dieser beinahe strauchelte.
»Wenn ich Hilfe
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