Die Achte Suende
ich mich von dem Brandgesicht beobachtet. Jedenfalls hatte
ich
diesen Eindruck, nachdem er eine volle Stunde an der Ecke zur Via dei Coronari herumlungerte und betont gelangweilt an mir vorbeiblickte, wenn ich mich ihm näherte. Vor ihm auf dem Boden lagen mindestens zehn Zigarettenkippen.«
»Ich könnte mich grün und blau ärgern, dass mir der Mann entwischt ist. Fragt sich, ob er wirklich zur Marchesa wollte.«
»Du sagtest doch, er habe geläutet.«
»Ja, das habe ich beobachtet.«
»Also weiß er nicht, dass die Marchesa tot ist!«
»Nein, woher auch, wenn keine Zeitung von dem Mord berichtet hat.«
»Dann wird er sicher auch noch einmal wiederkommen.«
Malberg atmete tief durch und blies die Luft geräuschvoll durch die Lippen. »Ich ahne Furchtbares. Du meinst, wir sollten unsere Observierung über den morgigen Tag hinaus fortsetzen.«
»Lukas —« Barbieri packte Malberg an den Schultern, »das ist zurzeit unsere einzige Hoffnung. Der Mann kommt auch ein drittes Mal zur Marchesa. Wer seine kostbare Zeit damit verbringt, stundenlang auf jemanden zu warten, der gibt nicht so schnell auf.«
»Klingt einleuchtend«, erwiderte Malberg.
Die folgenden zwei Tage brachten nicht den gewünschten Erfolg. Auch bei Barbieri machte sich inzwischen eine gewisse Mutlosigkeit breit. Das führte zu Spannungen zwischen den beiden Männern, weil nun Malberg seinerseits zur Überzeugung gelangt war, dass das Brandgesicht in der jetzigen Situation der Einzige war, der ihm weiterhelfen konnte.
Sie hatten die Observierung für diesen Tag bereits eingestellt, als Malberg bei Einbruch der Dämmerung noch einmal das Haus verließ, um sich erneut zur Wohnung der Marchesa zu begeben. Er wusste selbst nicht, was ihn dazu trieb.
Einige Bewohner in der Straße kannte er bereits vom Sehen.
Im Schütze der Dämmerung verbarg sich Malberg in einem Eingang schräg gegenüber vom Haus der Marchesa und wartete.
Zwei Minuten mochten vergangen sein, als die Eingangstür hinter ihm aufgerissen wurde. Und noch ehe er sich umdrehen oder ausweichen konnte, spürte Malberg im Rücken den kalten Lauf eines Revolvers. Zu keinem Wort fähig, hob Malberg beide Arme.
»Was wollen Sie? Warum verfolgen Sie mich?«, vernahm er eine gepresste, hohe Stimme wie die eines Kastraten.
»Ich weiß nicht, was Sie meinen«, stammelte Malberg. Er fühlte sich wie gelähmt. Die Angst saß ihm in allen Gliedern. Malberg musste an die Marchesa denken, die nur ein paar Schritte entfernt, auf der gegenüberliegenden Straßenseite, kaltblütig erschossen worden war.
Der Mann im Dunkeln hinter ihm ließ nicht locker: »Ich beobachte Sie schon seit Tagen«, hörte er ihn sagen, immer noch den Druck der Waffe im Rücken spürend, »also, was wollen Sie?«
»Nichts«, antwortete Malberg kleinlaut, »wirklich nichts.« Kaum hatte er geantwortet, traf Malberg ein harter Schlag auf den Hinterkopf. Er hat auf dich geschossen!, dachte Malberg und geriet in Panik. Er empfand auch einen heftigen Schmerz, versuchte die Wunde zu ertasten, welche die Kugel verursacht hatte, das Blut zu fühlen, das an seinem Nacken herunterrann. Nichts dergleichen. Schließlich begriff er, dass der Unbekannte mit seiner Waffe nur zugeschlagen hatte.
»Also?«, hörte Malberg die fordernde Stimme hinter sich. Sein Körper stand unter Strom. Alle Muskeln vibrierten. Er hatte absolut keine Lust, den Helden zu spielen. »Es geht um die Marchesa Falconieri …«
»Das dachte ich mir. Was gäbe es sonst für einen Grund, dieses gottverlassene Haus zu beobachten? Sie kennen die Marchesa?« »Nicht wirklich. Wir sind uns einmal begegnet. Ich wollte die Büchersammlung ihres Mannes kaufen.«
»Ach, so ist das. Was wollte sie haben für das Altpapier?«
»Eine viertel Million.«
»Und das hätten Sie bezahlt?«
»Ja, natürlich. Die Sammlung ist ein Mehrfaches wert. Aber leider stellte sich heraus, dass es sich bei den kostbaren Büchern um Hehlerware handelte. Aber das wissen Sie vermutlich.«
»Nichts weiß ich!«, herrschte der Unbekannte Malberg an. Dabei packte er ihn an den Schultern und drehte ihn zu sich um.
Zuerst blickte Malberg in den Lauf eines Schalldämpfers, ein daumendickes, zehn Zentimeter langes, bläulich schimmerndes Rohr, aufgeschraubt auf die Mündung eines Revolvers. Dahinter tauchte ein von Brandflecken übersätes Gesicht auf, ohne Wimpern und Augenbrauen. Malberg hatte es beinahe erwartet. Er kannte das Brandgesicht aus der Entfernung. Aber jetzt, aus der Nähe,
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