Die Achte Suende
verschwinden Sie, Signor …«
»Mesomedes!« Der junge Staatsanwalt ließ sich nicht einschüchtern und erwiderte: »Was Ihren Hinweis auf meine Unerfahrenheit betrifft, Eminenza, mögen Sie durchaus recht haben. Aber dies ist auch kein Verhör. Bestenfalls eine Zeugenaussage. Ich hatte gehofft, Ihre Aussagen würden etwas Klarheit in den Fall bringen.«
»Und diese Klarheit suchen Sie ausgerechnet hier im Vatikan? Wer erteilte Ihnen überhaupt die Befugnis, den Fall neu aufzurollen?«
»Jetzt, Eminenza, muss ich allerdings
Ihre
Unerfahrenheit in juristischen Dingen monieren. Der Fall, um den es hier geht, geschah auf italienischem Staatsgebiet und unterliegt somit italienischer Rechtsprechung. Und was mich betrifft, ich bin Mitglied der Staatsanwaltschaft Roma uno. Ich brauche keine Sondergenehmigung für meine Ermittlungen. Schon gar nicht, wenn es um Mord geht.«
»Mord?« Monsignor Sawatzki faltete die Hände wie zum Gebet und blickte theatralisch zur Decke. »Das fünfte Gebot!«
»Das fünfte Gebot«, wiederholte der Staatsanwalt tonlos.
Auf dem Schreibtisch des Kardinals summte das Telefon.
Abate, der Privatsekretär des Kardinals, der die Diskussion aus dem Hintergrund verfolgt hatte, hob ab:
»Herr Kardinalstaatssekretär!«, rief er aufgeregt.
Moro stürzte zum Telefon und riss Abate den Hörer aus der Hand: »Bruder in Christo! Wir waren alle in großer Sorge um Ihren Verbleib! – Natürlich sind Sie mir keine Rechenschaft schuldig. – Was heißt scheinheilig. Wir sitzen doch alle im selben Boot, im Schifflein Petri. – Auf Wiederhören, Bruder in Christo.«
Er legte auf. Und mit leiser Stimme sagte er vor sich hin: »Gonzaga ist wieder aufgetaucht. Der Herr sei uns gnädig.«
Mesomedes machte eine höfliche Verbeugung und zog sich wortlos zurück. Er hatte genug gehört.
Es stinkt zum Himmel, dachte er. Ausgerechnet an diesem Ort.
Kapitel 36
Zwei Tage brachte die Observierung des Hauses der Marchesa kein Ergebnis. Nach dem Tod von Lorenza Falconieri war das alte Gemäuer praktisch unbewohnt.
Bei Malberg und Barbieri, die sich alle drei Stunden abwechselten, hatte sich inzwischen die große Langeweile eingestellt. Am ersten Tag hatte Malberg, während er in der Straße auf und ab ging, noch nachgedacht über den seltsamen Tod der beiden Frauen. Am zweiten Tag begann er die Schritte zu zählen vom Ende der Straße bis zur Einmündung in die Via dei Coronari. Er war zu keinem festen Ergebnis gekommen, weil, wie sich herausstellte, seine Schrittlänge je nach Tageszeit variierte. Vormittags machte er längere Schritte, ab Mittag wurden seine Schritte deutlich kürzer.
Letztendlich fühlte er sich in seiner Meinung bestätigt, dass ihn die Observierung des Hauses nicht im geringsten weiterbrachte. Zudem wurde es immer schwieriger, das Haus der Marchesa, ohne aufzufallen, im Blick zu behalten.
Gegen Abend des zweiten Tages tauchte in der Straße ein Mann auf. Er ging zielbewusst auf das Haus der Marchesa zu, betätigte einen Klingelknopf, wartete eine Weile und entfernte sich, wobei er sich noch einmal umdrehte und nach oben schaute.
Malberg überlegte kurz, ob er den Mann ansprechen sollte, verwarf dann aber den Gedanken und nahm die Verfolgung auf.
Der Mann hatte Brandwunden im Gesicht. Seine fehlenden Wimpern und Augenbrauen wirkten schauerlich. Entgegenkommende wichen ihm aus oder wählten die andere Straßenseite. Das konnte Malberg, während er dem Mann auf den Fersen blieb, deutlich beobachten.
Mehr mit der Verfolgung des Brandgesichts beschäftigt als mit dem römischen Straßenverkehr, lief Malberg beim Überqueren der Straße geradewegs vor ein Auto. Dem Reaktionsvermögen des Fahrers verdankte er, dass es nicht zum Zusammenprall kam. Doch als er sich bei dem Fahrer entschuldigt hatte und die Verfolgung fortsetzen wollte, war der Rotgesichtige im Verkehr untergetaucht.
»Meine Beobachtung mag ohne Bedeutung sein«, meinte Malberg bei seiner Rückkehr zu Barbieri, »aber ein Mann mit Brandwunden im Gesicht hat am Haus der Marchesa geklingelt. Leider habe ich den Kerl aus den Augen verloren.«
»Ein Mann mit verbranntem Gesicht, sagst du? Mittelalter, hohe Stirn und Halbglatze, etwa einsneunzig groß, hager?« Bei Barbieris Personenbeschreibung kam deutlich der Kriminaler durch.
»Du kennst ihn?«, erkundigte sich Malberg aufgeregt.
»Kennen ist das falsche Wort. Aber diesen Mann habe ich schon am Nachmittag des ersten Tages beobachtet. Um ehrlich zu sein, eigentlich fühlte
Weitere Kostenlose Bücher