Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Achte Suende

Die Achte Suende

Titel: Die Achte Suende Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philipp Vandenberg
Vom Netzwerk:
erklärte sie, sei er aus dem lebensfrohen Florenz in die heruntergekommene Provinzstadt Rom gekommen. Nicht etwa der Papst, sondern ein französischer Kardinal habe die Skulptur bei dem jungen Künstler in Auftrag gegeben. Der Kardinal legte Wert darauf, das schönste in Rom existierende Kunstwerk zu bekommen. Drei Jahre habe Michelangelo an dem weißen Marmorklotz gearbeitet …
    Malberg spürte einen Kniff von hinten in die Seite. Er wandte sich um. Rechts hinter ihm stand das Brandgesicht. Er machte einen ziemlich heruntergekommenen Eindruck, als habe er die Nacht auf einer Parkbank verbracht.
    Als Lukas etwas sagen wollte, legte der Gebrandmarkte einen Finger auf den Mund, und mit einer Kopfbewegung in Richtung der
Pietà
deutete er an, dass er den Ausführungen der Fremdenführerin lauschen solle.
    Michelangelo, führte diese weiter aus, sei so stolz auf sein Werk gewesen, dass er, entgegen dem Brauch der damaligen Zeit, nach Fertigstellung des Kunstwerks seinen Namen in die Mantelschleife der Madonna gemeißelt habe. Es sei die einzige Signatur an einer Skulptur Michelangelos. Und der junge Künstler habe sie heimlich, bei Nacht, in den Marmor gemeißelt. Als der Auftraggeber den >Schaden< bemerkt habe, sei es zu spät gewesen.
    Malberg war nur mit einem Ohr bei der Sache. Aus dem Augenwinkel beobachtete er das Brandgesicht.
    »Ach was«, bemerkte Malberg verärgert. In der Menschenansammlung fühlte er sich sicher, trotz seiner Bedenken, der Unbekannte könnte ihn in eine Falle gelockt haben.
    Diskussionen, fuhr die Führerin fort, habe seit fünfhundert Jahren die Darstellung der Muttergottes ausgelöst. Die Madonna erscheine eher jung, schön und edel wie die Geliebte und nicht wie die Mutter des Sohnes. Michelangelo habe seine Darstellungsweise mit dem Hinweis begründet, dass keusche Frauen viel frischer aussähen als jene, deren Seele bereits sündhaften Begierden anheimgefallen sei.
    »Zur Sache«, zischte Malberg ungeduldig. »Warum haben Sie mich hierhergelotst?«
    Brandgesicht drängte sich näher an Malberg heran. »Es ist schon ein paar Jahre her«, begann er mit hoher Flüsterstimme, »da wurde der seltsamste Auftrag an mich herangetragen, den ich bis dahin bekommen hatte. Ein Abgesandter der Kurie, der tunlich seinen Namen verschwieg, bot mir fünfzig Millionen Lire, nach heutiger Währung fünfundzwanzigtausend Euro, für einen Einbruch im Dom von Turin. Ich glaubte zunächst, irgendein Kunstwerk habe bei einem Kardinal Begehrlichkeiten geweckt. Kein Problem! Alljährlich verschwinden Tausende von Kunstwerken aus Kirchen und Domen auf Nimmerwiedersehen. Und - bei aller Bescheidenheit - das Alarmsystem, das ich nicht knacken kann, muss erst erfunden werden! Aber in diesem Fall handelte es sich nicht einfach um einen Einbruch. Ich sollte vielmehr das berühmte Turiner Grabtuch gegen eine angeblich exzellente Kopie austauschen. Danach sollte ich in der Kapelle, wo das Tuch aufbewahrt wird, Feuer legen. Das muss man sich einmal vorstellen!«
    »Eine unglaubliche Geschichte«, flüsterte Malberg, »aber warum erzählen Sie mir das alles?«
    »Sie werden es gleich begreifen.« Das Brandgesicht drängte Malberg zur Seite, nachdem ihm bereits einige Zuhörer missbilligende Blicke zugeworfen hatten. Im Schutz eines Pfeilers fuhr der Gezeichnete fort: »Fünfzig Millionen Lire waren kein Pappenstiel. Ich nahm den Auftrag an, besorgte mir Pläne des Turiner Domes, hielt mich tagelang in der Kirche auf, notierte jede Bewegung und jedes denkbare Versteck und arbeitete einen Plan aus. An einem Sonntagabend ließ ich mich samt der Grabtuch-Kopie in der Kathedrale einschließen und machte mich ans Werk.«
    Malberg begriff noch immer nicht, worauf das Brandgesicht hinauswollte. »Eine spannende Geschichte«, bemerkte er mit der Ironie des Zweiflers. »Vorausgesetzt, sie stimmt überhaupt. Aber worin besteht Ihr Angebot?«
    »Geduld! Geduld ist der Vater des Erfolgs«, antwortete der Gebrandmarkte. »Alles lief wie geplant. Mit Spezialwerkzeug öffnete ich den Schrein, in dem das Tuch aufbewahrt wurde, und tauschte das Original gegen die Kopie aus. Ein merkwürdiges Gefühl überkam mich, als ich das Leintuch, in dem Jesus von Nazareth ins Grab gelegt worden sein soll, in Händen hielt. Ich bin zwar kein frommer Mensch, aber schließlich ist so etwas nicht gerade alltäglich.«
    »Da haben Sie wohl recht. Aber …«
    Brandgesicht hob die Hand. »In dem Augenblick kam mir die Idee, ein winziges Stück aus dem

Weitere Kostenlose Bücher