Die Achte Suende
Giancarlo Soffici. Er war seit einigen Tagen verschwunden, wie vom Erdboden verschluckt. Ich fuhr in die Pathologie der Universitätsklinik und befürchtete das Schlimmste. Aber die Leiche, die mir der Pathologe zeigte, war nicht Soffici. Es war dieser Mann!«
Gonzaga klopfte mit dem Zeigefinger heftig auf den Bildschirm.
»Und woher kennen Sie dann seinen Namen?« Canella musterte den Kardinal von der Seite.
»Seinen Namen? Nannte ich wirklich seinen Namen?« Gonzaga kam ins Stottern.
»Sie sagten Frederico Garre oder so ähnlich.«
»Ach ja, ich erinnere mich. Ein oder zwei Tage nach der ersten Meldung berichtete der
Messagero
, der Mann aus dem Trevi-Brunnen sei identifiziert, es handle sich um einen den Behörden seit Langem bekannten Berufsverbrecher namens Frederico Garre. Ja, so war es.«
Keller, der Sicherheitschef, hatte schweigsam, aber höchst interessiert zugehört. Was Gonzaga berichtete, war ihm neu. Warum hatte der Kardinal das Verschwinden seines Sekretärs nicht gemeldet? »Darf ich Ihnen jetzt die weiteren Videoaufnahmen vorführen?«, fragte er schließlich.
»Es gibt noch mehr?«
»Allerdings, Excellenza. Und diese Aufnahmen scheinen mir im gewissen Sinne rätselhaft. Sie sind von einer anderen Kamera und aus einem anderen Blickwinkel aufgenommen.«
»Nun lassen Sie schon sehen!«, rief Canella aufgeregt.
Auf einen Klick erschienen auf dem Bildschirm dieselben beiden Männer, im Mittelschiff von St. Peter, nun schräg von oben aufgenommen, sodass man ihre Gesichter, ja sogar ihre Mimik deutlich erkennen konnte. Die beiden schienen sich angeregt zu unterhalten. Und dabei spähte das Brandgesicht immer wieder nach allen Seiten.
Stehend über den Tisch gelehnt, verfolgten Gonzaga und Canella die Videoaufzeichnung, als der Kardinal plötzlich wie vom Donner gerührt innehielt.
Canella, der für das Geschehen auf dem Bildschirm keine Erkärung fand, sah den Kardinalstaatssekretär misstrauisch an. Mit starren Augen verfolgte der die Szene, wie Brandgesicht einen Cellophanbeutel aus seinem Jackett zog und dem Unbekannten vor die Nase hielt. Es sah so aus, als wollte dieser den Beutel an sich nehmen, aber bevor es dazu kam, ließ der Entstellte ihn blitzschnell wieder in der Jackentasche verschwinden.
Keller stoppte die Aufnahme.
Für Gonzaga gab es keinen Zweifel, was hier gerade vor seinen Augen ablief. Nur allzu gut erinnerte er sich an den Flug von Frankfurt nach Mailand, als der Flugpassagier im Sitz neben ihm ihn plötzlich ansprach und ihm ebendiese Cellophantüte mit dem winzigen Fleck vom Grabtuch des Jesus von Nazareth zum Kauf anbot. Der Gebrandmarkte wusste genau um den Wert dieses kleinen Stückchens Stoff. Und welche Bedeutung diesem zukam, das war dem Kardinal inzwischen klar geworden.
Wer aber war der Unbekannte neben Brandgesicht? Ein stattlicher Mann in den besten Jahren? Schwer vorstellbar, dass er in irgendwelche kriminellen Machenschaften verwickelt oder ein Mitglied der Fideles Fidei Flagrantes war. Wenn aber weder das eine noch das andere zutraf-woher rührte dann sein Interesse für dieses Stück Stoff?
»Excellenza, was haben Sie, Excellenza?«
Wie aus weiter Ferne vernahm Gonzaga die eindringliche Stimme des Schweizer Gardisten: »Haben Sie eine Erklärung für das Verhalten der beiden Männer?«
Als hätte Keller ihn bei einer Sünde wider das sechste Gebot ertappt, stammelte Gonzaga verlegen: »Hat nicht unser Herr Jesus eigenhändig die Geschäftemacher aus dem Tempel getrieben? Eine Schande das. Jetzt machen die Dealer nicht einmal mehr vor den Toren von St. Peter halt.«
»Sie meinen also«, schaltete sich Canella ein, »die Kamera hat hier einen Heroin-Deal oder etwas Ähnliches aufgezeichnet?«
»Das wäre doch denkbar, oder nicht?«
Der Sicherheitschef sah den Kardinalstaatssekretär ungläubig an. »Das würde ja bedeuten, dass der Teufel sogar unter der Kuppel von St. Peter sein Unwesen treibt.«
»Ein Fall für die Drogenfahnder«, bemerkte Canella lakonisch und fügte ironisch hinzu: »Warum sollte die Drogenwelle ausgerechnet vor den Mauern des Vatikans haltmachen?«
Da brauste der Kardinal auf: »Das ist ein niederträchtiger Angriff auf die Integrität des Vatikans und der Kirche schlechthin. Ihre Bemerkung ist eine Unverschämtheit und der Beweis, dass der Teufel sogar in den höchsten Ämtern des Staates sein Unwesen treibt. Nehmen Sie gefälligst zur Kenntnis: Im Vatikan gibt es keine Drogen. Der Allmächtige schütze uns vor diesem
Weitere Kostenlose Bücher