Die Achte Suende
durchtrainierter Zwei-Meter-Mann mit geöltem schwarzem Haar und dem Aussehen eines Arnold Schwarzenegger, trug für gewöhnlich die Gelassenheit eines Menschen zur Schau, den nichts auf der Welt zu erschüttern vermag. Doch an diesem Tag wirkte er ziemlich aufgeregt.
»Excellenza«, begann er ohne Umschweife, »ich muss Sie dringend sprechen. Bitte!«
Noch nie in den sieben Jahren, in denen er mit Keller zu tun hatte, hatte Gonzaga den Gardemann so aufgeregt erlebt. »Wollen Sie mir nicht sagen, worum es sich handelt?«, tadelte der Kardinalstaatssekretär den Sicherheitschef.
»Es geht um diesen Mann mit dem verbrannten Gesicht, der tot in der Fontana die Trevi gefunden wurde. Sicher haben Sie sein Bild in den Zeitungen gesehen. Sein Name ist angeblich —« Beat Keller stockte.
»Frederico Garre«, kam Gonzaga ihm zu Hilfe.
»Ja, ich glaube, so hieß er. Der Mann taucht auf einer unserer Überwachungskameras auf.«
»Der Krüppel mit dem Brandgesicht? — Herr Keller, kommen Sie sofort!« Gonzaga legte auf.
»Entschuldigen Sie, wenn ich mitgehört habe«, mischte sich Canella ein, »sagten Sie Frederico Garre? Jener Garre, der ...«
»Genau der! Mein Sicherheitschef meldet, er habe den Mann auf einer Überwachungskamera erkannt. Keller ist schon auf dem Weg.«
Der Polizeipräsident ließ seine Unterlagen in dem schwarzen Koffer verschwinden. Schließlich meinte er: »Excellenza, würden Sie mir erlauben, einen Blick auf die Bildaufzeichnung zu werfen? Vielleicht könnte das der römischen Polizei von Nutzen sein.«
»Ich habe nichts dagegen«, antwortete der Kardinal mit hinterhältigem Grinsen. »Sagen wir so: Eine Hand wäscht die andere.«
Im selben Augenblick trat der Sicherheitschef ein. Beat Keller trug einen Laptop unter dem Arm. Den Polizeipräsidenten kannte er von verschiedenen Lagebesprechungen, bei denen sie stets auf gleicher Augenhöhe verhandelten, Canella als Sicherheitschef von Rom und Keller als Sicherheitschef des Kirchenstaates. Die Anwesenheit des Polizeichefs kam ihm durchaus gelegen.
Nach dem Attentat auf Michelangelos
Pietà
in den neunziger Jahren waren die Sicherheitsvorkehrungen im Vatikan verschärft worden. Dazu gehörte auch die Videoüberwachung aller gefährdeten Objekte in den Vatikanischen Museen und im Petersdom.
Mit der Technik modernster Bauart speicherte eine DVD alle zehn Sekunden eine Aufnahme von achtzehn verschiedenen Kameras. Wie viele solcher Überwachungskameras im Vatikan installiert waren, wussten nur wenige, die mit der Sicherheit befasst waren, unter ihnen Gonzaga und Keller.
Ohne nähere Angaben schaltete Keller den Laptop ein. Auf dem Bildschirm war Michelangelos
Pietà
zu erkennen. Davor eine Reisegruppe mit Fremdenführerin.
Gonzaga und Canella verfolgten mit zusammengekniffenen Augen die ruckelnden Bilder, die im Zeitraffer vor ihnen abliefen.
»Da!«, rief Keller plötzlich und hielt das Bild an. Am rechten Rand tauchte eine männliche Gestalt auf. Deutlich erkennbar sein entstelltes Gesicht. Kein Zweifel: Frederico Garre, das Brandgesicht. Keller ließ das Gerät weiterlaufen.
Auf dem Bildschirm drehte sich Brandgesicht nach allen Seiten um. Wohl um zu sehen, ob er nicht beobachtet würde. Dann näherte er sich einem Unbekannten, mit dem er offensichtlich an dieser Stelle verabredet war.
»Signori, kennen Sie diesen Mann?«
»Nein«, erwiderten Gonzaga und Canella wie aus einem Mund. »Aber bei dem Mann mit dem verbrannten Gesicht«, fuhr der Kardinalstaatssekretär fort, »handelt es sich zweifellos um jenen Frederico Garre, dessen Leiche in der Fontana di Trevi gefunden wurde.«
»Augenblick«, unterbrach Canella und holte den versengten Pass aus seinem Aktenkoffer. Während er das stark in Mideidenschaft gezogene Passbild neben den Bildschirm hielt, meinte er mit gewisser Zurückhaltung: »Möglicherweise haben Sie recht, Excellenza. Was mich betrifft, habe ich allerdings meine Zweifel. Und wenn ich mir die Frage erlauben darf, woher nehmen Sie die Sicherheit, den Mann als Frederico Garre zu identifizieren. Sie kennen ihn doch gar nicht.«
»Natürlich nicht«, erwiderte Gonzaga. »
Lebendhabe
ich diesen Mann nie gesehen ...«
»Sie sagen das mit einem merkwürdigen Unterton!«
»Nun ja«, der Kardinalstaatssekretär räusperte sich verlegen, »an dieser Stelle sollte ich wohl eine Erklärung abgeben: Als die Zeitungen erstmals von einer unbekannten Wasserleiche berichteten, da glaubte ich zunächst, es sei mein Privatsekretär
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