Die Achte Suende
vielleicht werden Sie im Internet fündig.«
»Wird gemacht, Chef«, erwiderte Fräulein Kleinlein mit einem unverkennbar ironischen Tonfall. Sie mochte es nicht, wenn Malberg ihr Befehle erteilte.
Während Malberg mit der angefallenen Post beschäftigt war, quälte ihn der Gedanke, wie er sich von dem Verdacht befreien konnte, dass er in irgendeiner Weise mit der Ermordung von Brandgesicht in Verbindung stand. Und je länger er darüber nachdachte, desto mehr wurde ihm klar, dass es nicht einfach sein würde, ohne sich zu offenbaren oder den Grund seiner Nachforschungen preiszugeben. Welche Risiken das mit sich brachte, hatten die letzten Wochen gezeigt. Zweifellos hatte Barbieri recht, wenn er ihm den Rat, gab sich möglichst unauffällig zu verhalten.
Fräulein Kleinlein schob wortlos den Zettel über den Schreibtisch, den Malberg ihr drei Minuten zuvor ausgehändigt hatte.
»Wie haben Sie die Nummer so schnell herausbekommen?«, erkundigte er sich – mehr der Höflichkeit halber.
»Indem ich den Weg ging, der jedem Fernsprechteilnehmer gegen Entrichtung einer Gebühr freisteht: Ich habe die Auskunft angerufen!«, erwiderte sie schnippisch.
Malberg hielt den Zettel mit beiden Händen und starrte auf die Nummer. Weder kannte er Liane Ammer, noch wusste er Bescheid, wie die beiden Schwestern zueinander gestanden hatten. Auf jeden Fall musste er vermeiden, dass Liane von vornherein abblockte und jede Auskunft verweigerte. Aber wie konnte er das verhindern? Wusste sie überhaupt von Marlenes Tod?
Nachdenklich ließ er den Zettel zwischen den Fingern kreisen. Dann griff er zum Telefon und wählte die Nummer. Nach mehreren Rufzeichen knackte es in der Leitung, und eine weibliche Stimme meldete sich auf dem Anrufbeantworter: »Hier ist der Anschluss von Liane Ammer. Leider bin ich zurzeit nicht erreichbar, weil auf dem Flug nach Madrid, Rom, Athen oder Kairo. Sollten Sie mir etwas Wichtiges mitzuteilen haben, wenden Sie sich vertrauensvoll an meinen bar bezahlten Anrufbeantworter. Andernfalls schweigen Sie für immer. Bitte sprechen Sie nach dem Pfeifton.«
Wie gebannt lauschte Malberg dem Signal. Er war auf die Ansage des Anrufbeantworters nicht gefasst gewesen. Wie, schoss es in Sekunden durch seinen Kopf, sollte er sich verhalten? Sollte er auflegen? Wenn er den Grund seines Anrufs nannte, hätte Liane Ammer Gelegenheit, sich durch den Kopf gehen zu lassen, ob sie mit ihm über ihre Schwester sprechen wolle. Für den Fall, dachte Malberg, dass sie über Marlenes Tod noch nicht informiert war, würde er sich mit einer Andeutung begnügen.
»Ich bin ein Schulfreund Ihrer Schwester Marlene. Sicher wissen Sie längst, was ihr widerfahren ist, und ich wäre Ihnen dankbar, wenn wir uns kurz am Telefon unterhalten könnten. Ich werde mir erlauben, Sie nochmals zu kontaktieren.« Erleichtert legte er den Hörer auf.
Es war schon dunkel, als Malberg das Antiquariat in der Münchner Ludwigstraße verließ, um sich nach Grünwald zu begeben, einem Vorort im Süden Münchens mit schicken Villen und Apartmenthäusern und der höchsten Einbruchsrate der Stadt. Vor zehn Jahren hatte Malberg hier ein Apartment erworben, zu einer Zeit, als man eine solche Immobilie in dieser Gegend noch bezahlen konnte.
Mit einem gewissen Widerwillen, den er sich nicht erklären konnte, betrat Malberg seine Wohnung. Verstärkt wurde seine Abneigung noch durch die stickige Luft, die ihm entgegenschlug, als er die Tür öffnete. Vor zehn Wochen, mitten im herrlichsten Sommer, hatte er sein Apartment, das mit kostbarem antikem Mobiliar ausgestattet war, verlassen. Jetzt war es Herbst und das Wetter alles andere als einladend.
Malberg riss alle Fenster auf. Dann entledigte er sich seines Jacketts, hängte es in der Garderobe auf, ließ sich auf die Couch, einem Ungetüm aus rotbraunem englischem Leder, fallen und verschränkte die Hände hinter dem Kopf
Er dachte nach, und dabei kamen ihm Zweifel, ob er, was den Anruf bei Marlenes Schwester Liane betraf, den richtigen Weg gewählt hatte. Ob es nicht besser gewesen wäre, sie persönlich und ohne Vorwarnung aufzusuchen. In diesem Fall hätte sie ihn wohl kaum abweisen können. Da meldete sich sein Mobiltelefon.
Malberg hatte einen Anruf von Caterina erwartet, aber auf sein freundliches »Hallo!« vernahm er eine dunkle, eiskalte Stimme: »Malberg, sind Sie’s?«
»Ja«, antwortete Lukas verblüfft. »Und wer sind Sie?«
»Das tut nichts zur Sache«, kam die Antwort.
»Hören Sie, wenn
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