Die Achte Suende
die römische Kirche zu vernichten.
Inzwischen hatte der ehemalige Kurienkardinal Tecina seinen Glauben an die Forschungen des Molekularbiologen Richard Murath weitgehend verloren und vor Zeugen getönt, der Nobelpreis sei dem lichtscheuen Professor wohl nicht zu Unrecht verweigert worden.
In Anbetracht der Grüppchen und Parteien, die sich auf Burg Layenfels gebildet hatten, waren Anicets Äußerungen dem Professor nicht verborgen geblieben.
Coram publico
hatte er mit Blick auf den Ex-Kardinal geantwortet: Naturwissenschaftler sollten sich nicht mit Ignoranten wie Theologen herumschlagen. Seither beschränkte sich der Umgang der beiden auf wenige Worte am Tag.
Muraths Problem bestand darin, dass er zur Untermauerung seiner Theorie eine genetische Analyse aus Blutresten des Jesus von Nazareth benötigte. Aber alle entsprechenden Versuche waren bisher fehlgeschlagen, weil auf dem Tuch zwar Blutspuren festgestellt wurden, doch waren alle unterschiedlicher Herkunft.
Entsprechende DNA-Analysen zeitigten Ergebnisse, welche Murath die schütteren Haare zu Berge stehen und seine Gegner in der Bruderschaft frohlocken ließen. Manche Blutflecken auf dem Turiner Grabtuch waren jüngeren Datums. Andere entstammten dem weiblichen Geschlecht. Männliche DNA-Spuren hingegen, deren Ursprung sich auf die Zeitenwende zurückdatieren ließ, erwiesen sich als verfälscht oder analytisch verblasst und somit als unbrauchbar.
Anicet hegte Zweifel, ob es sich bei dem Tuch, welches Gonzaga nach Layenfels gebracht hatte, nicht doch um die geniale, in Antwerpen gefertigte Kopie handelte. Leider war de Coninck umgekommen, bevor er die Frage beantworten konnte.
Es hatte den Anschein als sei es ein Tag wie alle vorangegangenen – spannungsgeladen und von Misstrauen geprägt. Nach dem Abendessen im Refektorium schleppte Anicet seinen ausgemergelten Körper über vier Treppen nach oben, wo die Labors untergebracht waren. Wie stets verbrachte Professor Murath den Abend in seinen im hinteren Teil gelegenen Laborräumen, unansprechbar, missgelaunt und mit Gott und der Welt hadernd.
Murath erkannte Anicet schon von Weitem an dessen schwerem Schritt und dessen pfeifendem Atem nach über hundert Stufen. Er blickte kaum auf, als der Alte den hell erleuchteten Raum betrat.
Höflichkeitsfloskeln wie »Guten Abend« oder »Wie geht’s« hatten die beiden längst eingestellt. Umso irritierender erschienen Murath Anicets Worte, als er in freundlichem Tonfall begann: »Wie kommen Sie voran, Professor?«
Murath warf einen Blick auf die große Uhr über dem Labortisch, als wollte er nachsehen, ob eine neue Zeit angebrochen sei, dann blickte er Anicet schief von der Seite an und meinte mürrisch: »Lassen Sie Ihre Scherze. Sie wissen genau, dass Sie als Erster davon erfahren, wenn mir der Durchbruch gelingt. Im Übrigen müssten Sie doch von Ihrem früheren Arbeitgeber gewohnt sein, in größeren Zeitabständen zu denken. Schließlich brauchte die Kurie hundert Jahre zum Nachdenken, ob ein Pfarrer seiner Gemeinde eher seine Vorderansicht oder das Hinterteil zuwenden sollte.«
»Entschuldigen Sie, Professor, es war nicht böse gemeint. Im Übrigen brauche ich Ihnen nicht zu erklären, dass ich mich dem von Ihnen ins Auge gefassten Arbeitgeber seit geraumer Zeit nicht mehr verbunden fühle.«
»Also, was wollen Sie? Ich meine, abgesehen davon, mir mitzuteilen, dass Ihre Geduld am Ende ist.«
»Aber keineswegs, Professor, keineswegs!«
Murath war irritiert. Woher kam der plötzliche Sinneswandel des Ex-Kardinals? Vergeblich versuchte der verkannte Forscher Anzeichen von Ironie und Häme aus dem Gesicht Anicets herauszulesen. Intrigieren und Taktieren gehörten auf Burg Layenfels zur Tagesordnung. Ebenso aber auch der Sinneswandel und Wechsel zur einen oder anderen Partei. Anicet, Murath, Dulazek, Willenborg, Masic, Van de Beek und Gruna, die führenden Köpfe der Fideles Fidei Flagrantes, verfügten allesamt über eine eigene Hausmacht. Und deren Sympathie für den einen oder anderen wechselte ständig.
Anicet und Murath waren ursprünglich Freunde gewesen. Das Fundament ihrer Freundschaft, ihr gemeinsames Ziel, wurde jedoch zunehmend brüchiger, je länger sich die Forschungen des Molekularbiologen hinzogen. Erfolglos hinzogen.
»Was verschafft mir dann das zweifelhafte Vergnügen Ihres späten Besuchs?«, nahm der Professor seine Spötteleien wieder auf.
Anicet, wie stets in einen dunklen reverslosen Gehrock gekleidet, der bis zum Hals
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