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Die Achte Suende

Die Achte Suende

Titel: Die Achte Suende Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philipp Vandenberg
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Burgtor. Zunächst sah er nichts. Erst nach längerer Betrachtung schien es, als wüchse das symbolhafte Zeichen allmählich aus dem alten Gemäuer, um schon im nächsten Augenblick wieder zu verschwinden wie eine spukhafte Erscheinung.
    Mit dem Kopf im Nacken verfolgte Malberg das seltsame Schauspiel. Es dauerte eine halbe Ewigkeit, bis er die Ursache der merkwürdigen Erscheinung erkannte: Während dunkle Wolken tief über den Himmel jagten, wechselte ständig das Licht. Es warf Schatten, die sich wieder in nichts auflösten. Der Schatten war es, welcher das in Stein gehauene Relief sichtbar machte.
    Fünfzehn, vielleicht zwanzig Meter ragte die Burgmauer in die Höhe. Das Falltor mit den spitzen Eisenzähnen, die bis zum Boden reichten, wirkte wie das gefräßige Maul eines Molochs, der darauf lauerte, jeden Ankommenden zu verschlingen.
    Malberg stutzte, als er in der Fensterluke des Torturms, links vom Eingang, das gerötete Gesicht eines Wächters erkannte. Wie es schien, beobachtete er ihn schon die ganze Zeit.
    »He da!« Malberg gab dem Wächter ein Zeichen, dass er mit ihm in Kontakt treten wolle. Der Rotgesichtige verschwand. Nach kurzer Zeit tauchte er hinter dem Fallgitter wieder auf.
    »Wer sind Sie? Was wollen Sie?«, fragte er kurz angebunden.
    »Mein Name ist –« Beinahe hätte sich Malberg verplappert, aber im letzten Augenblick fiel ihm ein, dass er Anicet einen falschen Namen genannt hatte, und er antwortete: »Mein Name ist Andreas Walter. Ich möchte zu Anicet.«
    »Nennen Sie das Codewort!«
    »Apokalypse 20,7.«
    Wortlos verschwand der Wächter in der schmalen Tür zur Torstube. Mit einem Geräusch wie ein Donnergrollen fuhr das Fallgitter in die Höhe.
    Der wenig gesprächige Wächter erschien erneut, streckte den Arm aus und zeigte in Richtung des Burghofs. »Sie werden erwartet.« Dann verschwand er.
    Malberg kam sich vor wie ein Eindringling. Er zweifelte, ob er es auf dieser düsteren, muffigen, übelriechenden Burg lange aushalten würde. Fünf, sechs Stockwerke türmten sich auf allen Seiten des Burghofs, der die Form eines Trapezes hatte, übereinander. Und wenn er den Blick nach oben wandte, erblickte er das pure Misstrauen: Kameras, Scheinwerfer, Bewegungsmelder, Sirenen. Die meisten in einem beklagenswerten Zustand, der die Frage aufkommen ließ, ob sie überhaupt funktionierten.
    »Sie sind der Kryptologe Andreas Walter?«
    Als wäre er lautlos aus dem Boden gewachsen, stand plötzlich ein gut aussehender Mann mittleren Alters neben ihm und streckte ihm die Hand entgegen: »Mein Name ist Ulf Gruna.«
    »Kryptologe ist wohl die falsche Berufsbezeichnung«, erwiderte Malberg. »Ich verstehe nur etwas von alten Büchern und alten Schriften.«
    »Dann sind Sie genau der Mann, den wir suchen. Ich bin Hämatologe und am Projekt ›Apokalypse‹ beteiligt. Wenn Sie wollen, zeige ich Ihnen Ihre Zelle.«
    Zelle? Das klang verdammt nach Gefängnis, dachte Malberg, oder nach einem Kloster, in dem Mönche bei
ora et labora
ein karges Dasein fristen.
    »Sagten Sie Hämatologe?«, erkundigte sich Malberg unsicher.
    »Ja. Wundert Sie das?«
    »Wenn ich ehrlich sein soll – ja!«
    Gruna grinste in sich hinein, als freue er sich, dass die Überraschung gelungen war. »Kommen Sie«, sagte er und wies Malberg den Weg. Dabei machte er eine ausladende Armbewegung. Sie genügte, um für einen Augenblick ein schwarzes T-Shirt zum Vorschein kommen zu lassen, das er unter dem Sakko trug. Doch es war nicht das T-Shirt, das Malbergs Interesse fand, sondern die Kette, die Gruna darüber trug, die gleiche Kette mit einem ovalen Medaillon und dem abgewandelten Kreuz-Symbol, die er in Marlenes Wohnung gefunden hatte.
    Malberg wurde schwindlig. Er rang nach Luft, fand jedoch nicht die Kraft, die raue Herbstluft bis in die letzten Spitzen seiner Lungen zu saugen. Er musste aufpassen, dass Gruna seine Panik nicht bemerkte und unangenehme Fragen stellte. Schließlich gab er sich einen Ruck.
    Über eine in Stein gehauene, schmale Wendeltreppe, die bei Ungeübten Schwindelgefühle hervorrief, stapften die beiden Männer nach oben in das zweite Stockwerk. Noch bevor sie auf dem oberen Absatz ankamen, hielt Gruna inne und blickte zu Malberg hinunter, der hinter ihm geblieben war.
    »Ich weiß, welche Frage Ihnen jetzt auf den Nägeln brennt«, sagte er im Flüsterton. »Sie wollen wissen, was sich hinter dem Projekt ›Apokalypse‹ verbirgt. Aber da muss ich Sie enttäuschen. So richtig weiß das niemand. Auch ich

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