Die Achte Suende
deutlich bemüht, freundlich zu wirken.
Unfähig zu antworten, blickte Malberg an der Nonne vorbei, um einen Blick ins Innere der Wohnung zu erhaschen. Soweit er etwas erkennen konnte, machte alles einen aufgeräumten Eindruck.
»Ich wollte die Concierge sprechen«, stammelte Malberg verwirrt.
»Die Concierge? Hier gibt es keine Concierge!« Und etwas von oben herab fügte sie hinzu: »Mein Sohn.«
Vergeblich suchte Malberg nach dem Namensschild an der Tür. »Aber bei meinem letzten Besuch lebte in dieser Wohnung eine Hausbeschließerin, etwa vierzig Jahre alt, etwas üppig und mit kurzen Haaren!«
Die Nonne schob beide Hände in die Ärmel ihrer Ordenstracht, was ihr eine gewisse Unnahbarkeit verlieh. Sie kniff die Augen zusammen und musterte den Fremden von Kopf bis Fuß. »Wann soll das gewesen sein?«, fragte sie schließlich.
»Das ist noch gar nicht lange her, eine Woche, nicht länger.«
»Sie müssen sich irren.« Die Nonne rang sich ein mühsames Lächeln ab. Es wirkte eher zynisch, als wollte sie sagen: Armer Irrer.
»Und die Wohnung im fünften Stock? Dabei handelt es sich wohl auch um einen Irrtum meinerseits?« Malberg wurde wütend.
Die Miene der verhärmten Frau verfinsterte sich, und mit ihrer heiseren Stimme entgegnete sie: »Ich weiß nicht, wovon Sie reden, Signore. Im fünften Stockwerk dieses Hauses befindet sich der Dachboden. Nichts anderes. Geht es Ihnen gut?«
Am liebsten wäre Malberg der Nonne an die Gurgel gefahren. Er fühlte sich verhöhnt. Er hätte ihr gerne entgegengeschleudert: Dumme Ziege, ich habe die Wohnung mit eigenen Augen gesehen. Sie wurde von einer Frau mit Namen Marlene Ammer bewohnt. Irgendein Schwein hat sie umgebracht. Und alles, was hier abläuft, ist nichts weiter als eine bösartige Inszenierung, um einen Mord zu vertuschen.
Doch schon im nächsten Augenblick hatte er sich wieder in der Gewalt. Vielleicht war das Ganze nur eine Falle. Vielleicht wollte man ihn mit Absicht aus der Reserve locken, um zu sehen, wie viel er wusste? Vielleicht war man sogar schon hinter ihm her? Konnte die Polizei wissen, dass
er
Marlene tot aufgefunden hatte?
Er hatte nicht einmal ein Alibi, konnte auch keines haben, weil er sich unmittelbar nach dem Mord an Marlene in ihrer Wohnung aufgehalten hatte. Immer mehr wurde Malberg bewusst, in welch prekärer Situation er sich befand.
Wie aus der Ferne vernahm er die Stimme der Nonne, die Ihre Frage wiederholte: »Geht es Ihnen gut?«
»Gewiss«, beteuerte Malberg. »Bitte entschuldigen Sie die Störung. Ich habe mich wohl im Haus geirrt.«
Die Nonne nickte verständnisvoll, und Malberg verabschiedete sich kurz und verschwand.
Auf der gegenüberliegenden Straßenseite ging er eine gute Viertelstunde auf und ab. Dabei behielt er den Hauseingang der Via Gora 23 fest im Blick. Er wusste selbst nicht so recht, worauf er eigentlich wartete. Malberg war ratlos. Schließlich gab er auf und machte sich zu Fuß auf den Rückweg zum Hotel.
Als er auf dem Ponte Sisto den Tiber überquerte, summte sein Mobiltelefon.
»Hier spricht Caterina. Gut, dass ich Sie erreiche. Ich habe Neuigkeiten!«
»Ich auch!« Malberg blieb stehen und blickte von der Brücke in den bräunlich grünen Fluss.
»Erzählen Sie«, rief die Reporterin aufgeregt.
»Ich habe das Haus aufgesucht, in dem Marlene lebte.«
»Und? So reden Sie schon!«
»Nichts und. Überhaupt nichts.«
»Was soll das um Himmels willen heißen?«
»Soll heißen, die Wohnung existiert nicht mehr. Angeblich hat sie nie existiert, und angeblich hat Marlene nie in dem Haus gewohnt.«
»Dann haben Sie sich eben in der Adresse geirrt. In der Aufregung kann so etwas schon mal passieren. Im Übrigen sieht in manchen Stadtteilen Roms ein Haus aus wie das andere.«
»Mag sein; aber ich kenne das Haus. Ich kenne die Wohnung, in der Marlene lebte. Ich habe sie mit eigenen Augen gesehen!«
»Wann?«
»Am Tag, als Marlene ermordert wurde ...«
Nach einer schier endlosen Pause meldete sich Caterina mit ernster Stimme zurück: »Wollen Sie damit sagen ...«
»Ja, ich habe Marlene gesehen. Sie lag tot in der Badewanne.«
»Das ist nicht wahr.«
»Doch.«
»Warum haben Sie mir das verschwiegen?«
Malberg schluckte. »Wollen Sie die Wahrheit hören?«
»Natürlich.« Und nach einer Pause: »Sind Sie noch da?«
»Ja. Ich wusste nicht, ob ich Ihnen trauen kann. Das ist die Wahrheit.«
Nach einer Weile antwortete Caterina: »Ich verstehe. Und was hat Sie veranlasst, Ihre Meinung zu
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