Die Achte Suende
geschehen war, dass er mit dem Mord an Marlene nichts zu tun hatte und dass der Bücherankauf bei der Marchesa geplatzt war.
»Ich brauche Geld«, sagte er, nachdem er geendet hatte.
»Kein Problem«, erwiderte Fräulein Kleinlein. »Ich habe eben eine
Schedelsche Weltchronik
für sechsundvierzigtausend Euro verkauft.« Sie öffnete die grüne Stahlkassette auf dem Schreibtisch, in der für gewöhnlich die Tageseinnahmen aufbewahrt wurden. »Ein Russe oder Ukrainer«, fügte sie hinzu, »er verstand etwas von alten Büchern, versuchte erst gar nicht zu handeln und zahlte bar.«
Mit Wohlgefallen blickte Malberg auf die gebündelten Fünfhundert-Euro-Scheine in der Kassette, und nachdem er eine Banknote geprüft und für echt befunden hatte, sagte er: »Buchen Sie zehntausend Euro als Eigenverbrauch, und bringen Sie den Rest zur Bank. Und da ist noch etwas!«
Malberg zog das Buch aus der Tasche, das er in Marlenes Wohnung eingesteckt hatte, und entnahm ihm den Bankscheck, den er seit Tagen mit sich herumtrug. »Bitte geben Sie den Scheck gegen Quittung zurück. Aber seien Sie vorsichtig. Ein Verlust hätte katastrophale Folgen. Sie wissen, dass jeder Überbringer den Scheck einlösen kann.«
Fräulein Kleinlein nickte etwas beleidigt. Dass Malberg ihr die Bedeutung eines Bankschecks erklärte, erschien ihr absolut unnötig.
»Und wie soll das weitergehen? Ich meine, was wollen Sie jetzt tun? Wollen Sie zur Polizei gehen?«, erkundigte sie sich vorsichtig.
»Unsinn!«, blaffte Malberg. »Bevor jemand spitzkriegt, dass ich hier war, bin ich wieder verschwunden. Ich muss nach Rom zurück. Nur dort kann ich klären, was überhaupt passiert ist. Für ein paar Wochen kommen Sie auch ohne mich aus. Ich hoffe, Sie halten mich telefonisch auf dem Laufenden. Allerdings nicht von diesem Apparat, auch nicht vom Mobiltelefon. Ich bin sicher, alle Leitungen werden abgehört. Haben Sie jemanden, dem Sie vertrauen können, bei dem ich Ihnen unter Umständen auch eine Nachricht hinterlassen kann?«
»Meine Schwester Margot«, erwiderte Fräulein Kleinlein. Sie nahm einen quadratischen Schreibblock, notierte die Telefonnummer und reichte Malberg den Zettel. »Sie sollten noch die Post durchsehen«, meinte sie und zeigte auf einen Stapel Briefe, »ich glaube, es sind ein paar private Dinge darunter.« Dann nahm sie das Geld bis auf zehntausend Euro aus der Kasse und verstaute es zusammen mit dem Bankscheck in ihrer Umhängetasche.
»Beeilen Sie sich, die Banken schließen gleich«, rief Malberg der Geschäftsführerin hinterher und verschloss die Ladentür. Schließlich hängte er ein Schild »CLOSED« an die Scheibe.
Das Kontor hatte nur ein einziges, vergittertes Fenster zum Innenhof. Nicht einmal im Sommer verirrte sich hierher ein Sonnenstrahl. Obwohl es draußen noch hell war, musste Malberg die Schreibtischlampe mit dem gelben Schirm, ein wenig geschmackvolles Ungetüm aus den dreißiger Jahren des vorigen Jahrhunderts, einschalten.
Mit einem Brieföffner begann er die Briefe aufzuschlitzen, die vor ihm auf dem Schreibtisch lagen. Er war weit weg mit seinen Gedanken, als sein Blick auf den quadratischen Notizblock fiel, von dem Fräulein Kleinlein kurz zuvor ein Blatt abgerissen hatte.
Malberg legte einen unwichtigen Brief beiseite und begann, mit einem quer gehaltenen Bleistift über den Notizblock zu streichen. Als Kind hatte er auf diese Weise Münzen abgepaust. Jetzt bemerkte er schon nach wenigen Strichen, dass die Telefonnummer, welche Fräulein Kleinlein auf den Zettel geschrieben hatte, erneut zum Vorschein kam.
Plötzlich hielt er inne, nahm das Buch, das er mitgebracht hatte, und schlug es auf. Noch immer lag die Quittung über das Flugticket zwischen Seite 160 und 161. Bereits beim ersten Mal, als er das Buch in Marlenes Wohnung zur Hand nahm, war ihm etwas aufgefallen. Es sah so aus, als hätte Marlene die Buchseite als Unterlage für eine Notiz benutzt.
Behutsam ging Malberg daran, den Abdruck mit dem Bleistift sichtbar zu machen. Ein mühevolles Unterfangen, bei dem er noch dazu Gefahr lief, alles zu verderben, wenn er zu heftig ans Werk
ging.
Schon nach wenigen Strichen wurde klar, dass der Abdruck,
den Marlenes Notiz hinterlassen hatte, aus zwei schmalen Textzeilen und einer Telefonnummer bestand:
tel - nkfii - of
m - iserp - z
. + 49 69 215-02 .
Malberg holte tief Luft. War das der Hinweis, den er sich erhofft hatte?
Die Vorwahl mit dem Ländercode 0049 wies auf Deutschland hin, 069 ist die
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