Die Achtsamkeits-Revolution
träumt, nennt man das einen luziden Traum. Uber-
greifendes Ziel buddhistischer Einsichts-Praxis ist es, für alle Be-
wusstseinszustände, sowohl bei Tage wie auch bei Nacht, zu »erwa-
chen« und zu jeder Zeit klar und luzide zu sein.
In den letzten dreißig Jahren wurde das luzide Träumen zum
Gegenstand wissenschaftlicher Erforschung und man entwickelte
effektive Methoden, um den Traumzustand, wenn er eintritt, zu
erkennen. 61 Da Sie nun damit beginnen, Ihre fokussierte Achtsam-
keit auf die Kultivierung der Einsicht zu richten, werden Sie es
vielleicht hilfreich finden, wenn Sie sich nun zwischen den Sha-
matha-Meditationssitzungen einigen dieser Praxisübungen wid-
men.
Sie können mit dem luziden Träumen bei Tage beginnen, indem Sie auf die Art und Weise achten, in der Sie die physische Welt Ihres Körpers und Ihrer Umgebung eigentlich wahrnehmen. Viele von uns glauben, dass wir objektiv gegebene, stoffliche Phänomene mit unseren fünf Sinnen direkt wahrnehmen, dass die mentalen Bilder, die wir über unsere Sinne wahrnehmen, eine genaue Wiedergabe oder präzise Darstellung (engl, representation ) der von uns wahrgenommenen Objekte sind. Doch der Neurologe Antonio Damasio widerspricht dieser gemeinhin als naiver Realismus bezeichneten Auffassung und schreibt: 62
Das Problem mit dem Begriff representation ist nicht seine Doppeldeutigkeit, da jedermann erahnen kann, was gemeint ist. Doch wird hier impliziert, dass das mentale Abbild oder neurale Muster den Gegenstand, auf das es sich bezieht, irgendwie in Geist und Hirn mit einem gewissen Maß an Originaltreue repräsentiert, so als erführe die Struktur des Gegenstandes in dieser Darstellung eine Reproduzierung. ... Wenn Sie und ich auf einen äußeren Gegenstand blicken, bilden wir jeweils in unserem Gehirn vergleichbare Abbilder. Wir wissen das, weil wir beide den Gegenstand bis ins kleinste Detail auf ganz ähnliche Art beschreiben können. Das heißt aber nicht, dass das Abbild, das wir sehen, eine Kopie der wirklichen Beschaffenheit dieses äußeren Gegenstandes ist. Wie dieser in absoluter Wirklichkeit beschaffen ist, wissen wir nicht.
Unter diesem neurowissenschaftlichen Standpunkt betrachtet, nehmen wir mit unseren fünf Sinnen im Gehirn erzeugte Abbilder direkt wahr, die aber keine wahrhaften Wiedergaben oder Darstellungen von irgendetwas sind, das da unabhängig vom Gehirn existiert. Die Sinneseindrücke von Farben, Lauten, Gerüchen und so weiter sind nicht fassbarer als Gedanken oder Träume. Dem An
schein nach nehmen wir Farben und so weiter wahr, wie sie in der unabhängig von unseren Sinnen objektiv existierenden Welt gegeben sind, aber das ist eine Illusion ganz ähnlich einem Traum.
Daraus könnten wir schließen, dass die einzigen von uns direkt wahrgenommenen Realitäten aus den sich für den Geist und die Sinne ergebenden Erscheinungen bestehen, die sich auf physischer Ebene nicht nachweisen lassen. Es gibt keinen objektiven »Maßstab«, mit dessen Hilfe wir unsere Sinneswahrnehmungen oder Konzepte mit den stofflichen Phänomenen »da draußen« vergleichen könnten, die unserer Vorstellung nach in Unabhängigkeit von unseren Wahrnehmungen und Konzepten existieren. Ja die ganze Existenz eines unabhängig existierenden Universums, das aus Phänomenen besteht, die wir als von physischer Natur definiert haben, scheint nunmehr in Frage gestellt. Und unsere normalen Erfahrungen im Wachzustand nehmen eine traumgleiche Beschaffenheit an.
Bemerkungen, in denen sich eine enge Parallele zum Denken des Philosophen Immanuel Kant finden lässt. Er impliziert nicht, dass es kein vom menschlichen Geist unabhängig existierendes Universum (ob nun physischer oder anderer Natur) gibt, sondern er sagt, dass wenn wir es wahrzunehmen oder uns vorzustellen versuchen, wir dies mit den Mitteln unserer menschlichen Sinnesund Wahrnehmungsfähigkeiten tun. Und diese liefern uns keinen Zugang zu der Wirklichkeit, wie sie in Unabhängigkeit von unseren Forschungsmethoden existiert. Auch der Physiker Werner Heisenberg verwies mit seiner Feststellung, dass wir nicht die Natur an sich, sondern die unserer Befragungsmethode ausgesetzte Natur beobachten, auf diesen Punkt. 63
Während Wissenschaftler seit Galileis Zeiten die Natur der objektiven Realität zu ergründen suchten, wie sie unabhängig von menschlicher Erfahrung existiert, strebten Buddhisten danach, etwas zu verstehen, das sie loka nannten; ein Begriff, der dem von
den Phänomenologen gebrauchten
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