Die Achtsamkeits-Revolution
nichtstofflicher Natur einschleichen, ohne dass dies einen Verstoß gegen das Prinzip der Masse-Energie-Erhaltung impliziert. Es sind Momente, die zu messbaren Auswirkungen in der Makroweit führen können. 76 Das ist zwar kein Beweis für das Vorhandensein nichtstofflicher Einflüsse auf die stoffliche Welt (wie könnten Physiker deren Existenz auch je entdecken, wenn sie mit ihren Instrumenten nur stoffliche Phänomene messen können?), aber es ist ein Hinweis darauf, dass derartige Einflüsse nicht gegen die Gesetze der Physik verstoßen würden.
Der Neurowissenschaftler Daniel M. Wegner berichtet in seinem Buch The Illusion of Conscious Will über wissenschaftliche Untersuchungen der Gehirnvorgänge im Zusammenhang mit den Willensprozessen, die unter der Ausgangsprämisse durchgeführt wurden, dass alle mentalen Prozesse einzig und allein durch physische Abläufe im Gehirn erzeugt werden. Daher überrascht es nicht besonders, wenn er zur abschließenden Schlussfolgerung gelangt: »Wie jeder von uns glaubt, scheinen wir einen be- wussten Willen zu haben, scheinen wir ein Ich zu haben, scheinen wir einen Verstand zu haben, scheinen wir Handelnde zu sein, scheinen wir Urheber unseres Tuns zu sein ... Es ist ernüchternd und letztlich korrekt, wenn wir dies alles als eine Illusion bezeichnen.« 77
Wegners Behauptung, eine »letztlich korrekte« Aussage über die Interaktionen von Körper und Geist gemacht zu haben, nimmt sich angesichts der derzeit mangelnden wissenschaftlichen Kenntnisse darüber, wie neurale Ereignisse mentale Ereignisse beeinflussen und umgekehrt, besonders überheblich aus. Darüber hinaus impliziert seine mit dem ganzen Gewicht wissenschaftlicher Autorität vorgetragene Behauptung, dass moralisch gesehen niemand für seine oder ihre Handlungen verantwortlich ist. Sollte das eine auf einhellig akzeptierte wissenschaftliche Fakten gestützte Schlussfolgerung sein, dann müssen wir sie auch auf unsere Gesetzgebung, Rechtsprechung und generelle Bewertung und Beurteilung menschlichen Verhaltens anwenden. Doch Wegner setzte von einer Plattform zum Sprung auf seine Schlussfolgerung an, welche aus einer Menge vorgefasster materialistischer Auffassungen und Annahmen besteht, wie sie vor einem Jahrhundert von Psychologen und Hirnforschern allgemein vertreten wurden. Er fand ganz einfach ein paar beschränkte empirische Hinweise zur Untermauerung seiner schon feststehenden Grundannahme.
Um einen Vergleich heranzuziehen: Stellen Sie sich einen Forscher vor, der nur die von den Musikinstrumenten erzeugten Schwingungen eines Orchesters misst, das Beethovens Pastorale zur Aufführung bringt. Er würde feststellen, dass die Instrumente in bestimmterWeise schwingen, noch bevor irgendjemand irgendwelche Musik hört, und könnte daraus folgern, dass der Symphonie einzig diese Schwingungen als Ursache zugrunde liegen. Damit lässt er die Rolle des Komponisten, des Dirigenten, der Fähigkeiten und der Gefühlszustände der Musiker, des Publikums und so weiter völlig außen vor. Er hat recht, wenn er sagt, dass die von den Instrumenten ausgehenden Schwingungen eine wesentliche Rolle beim Hervorbringen der Musik spielen, doch macht ihn seine Methode des Ausschlussverfahrens für eine Unmenge andere Einflüsse blind. Und sicher wäre er sich auch nicht der Tatsache
bewusst, dass viele Menschen im Geiste Melodien komponieren und hören können, ohne dass dabei irgendwelche Schwingungen auslösende Musikinstrumente eine verursachende Rolle spielen.
Buddhistische Kontemplative sind zu der Schlussfolgerung gelangt, dass das Gehirn zwar den Geist konditioniert und für das Entstehen spezifischer mentaler Prozesse notwendig ist, solange das Speicherbewusstsein inkarniert ist; dass aber die menschliche Psyche aus diesem zugrunde liegenden Bewusstseinsstrom hervorgeht, der Leben um Leben eine Verkörperung erfährt. Eine Theorie, die sich mit allen gegenwärtigen wissenschaftlichen Kenntnissen über Geist und Gehirn vereinbaren lässt. Somit hat sie nichts Unlogisches an sich; aber soweit es die fortgeschrittenen buddhistischen Kontemplativen angeht, handelt es sich auch nicht einfach um eine auf dem Glauben basierende Aussage. Eine Sache, die Wissenschaftler nur für eine Glaubensangelegenheit oder philosophische Spekulation halten, kann für buddhistische Kontemplative eine durch Erfahrung bestätigte Hypothese sein. Die Trennlinie zwischen Wissenschaft und Metaphysik wird durch die Grenzen empirischer Untersuchung
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