Die Adler von Lübeck: Historischer Roman
Seil in die Höhe ziehen. Sein erster Gedanke war: Es ist soweit, jetzt holen sie dich. Er hatte sich schnell wieder gefangen und trat auf die Besucher zu.
»Was treibt uns hierher?«, fragte er mit einer Stimme, die lauter war als gewöhnlich.
»Seid Ihr der Advokat, der jeden Streit gewinnt?«
»Nun ja«, entgegnete Theuerkauff gewunden. Es schmeichelte seiner Vorurteilslosigkeit, wenn selbst schmutzige Münder die Wahrheit aussprachen.
»Sicher habt Ihr Euch in der Tür geirrt«, fuhr Theuerkauff fort. Der Wortführer hielt Papiere in die Höhe, es sah aus, als würde er mit ihnen winken. Theuerkauff erkannte Schuldscheine von Weitem. Schlagartig verspürte er Müdigkeit, der weitere Ablauf stand vor seinem Gesicht, und was er sah, war nichts Gutes. Die Strolche hatten also Schulden. Egal bei wem, der Bürger würde sein Geld nie bekommen. Theuerkauff begriff nicht, wie sie es geschafft hatten, einer zutraulichen Seele Geld aus den Rippen zu schneiden. Genauso gut hätte man die Schuldscheine ins Feuer werfen können. Natürlich gaben sie dem Besitzer einen Rechtsanspruch, natürlich hätte er seine Forderung eintreiben können, aber doch nur theoretisch! Weil in Wirklichkeit nichts zu holen war! Was wollte er den armen Teufeln wegnehmen? Ihren schmutzigen Mantel?
»Moment!«, sagte Theuerkauff , der den Widerspruch erkannte, den er bisher nur gespürt hatte, »was wird hier gespielt? Warum habt Ihr die Scheine? Wem habt Ihr sie gestohlen? Wer hat gegen Euch etwas in der Hand?«
Der Wortführer legte die Scheine auf den Tisch. Lächelnd sahen er und seine Begleiter zu, wie der Advokat sie durchblätterte, studierte, erneut blätterte, erneut studierte, wozu er diesmal doppelt so lange brauchte.
Theuerkauff hob den Kopf. »In Ordnung, Freunde«, sagte er mit einer Stimme, aus der jede Leutseligkeit gewichen war, »wir haben uns alle amüsiert, jetzt werden wir wieder ernst. Woher habt Ihr die Scheine?«
»Könnt Ihr uns bestätigen, dass sie echt sind?«
»Natürlich sind sie echt.«
»Der, dem diese Scheine gehören, hat also das Recht, seine Forderung einzutreiben? Bei dem, dessen Name auf dem Schein steht, ist das richtig so?«
Theuerkauff nahm den zuoberst liegenden Schein und hielt ihn vors Gesicht. Er war ein kaltblütiger Mann. Einige seiner schönsten Siege hatte er vor Gericht errungen, weil niemand so lange eine undurchdringliche Miene aufrechterhalten konnte wie er.
Melchior Voigt hatte 800 Taler Schulden bei Vinzenz Nawka . Der zweite Schuldschein: Hippolyt Vierhaus besiegelte mit seiner Unterschrift, dass er 500 Taler von Sven-Eric Tannenbaum geliehen hatte.
Verdutzt blickte Theuerkauff in die Höhe und las, was auf dem Schein stand, den ihm der Wortführer entgegenhielt. Regula Schnabel stand bei Engelbert Kross mit 1.500 Talern in der Kreide. Theuerkauff sah das lächelnde Gesicht hinter dem Schein und sagte:
»Ihr seid Engelbert Kross.«
Der Mann neben Kross schlug dem auf die Schulter und rief fröhlich: »Das können wir alle beschwören.«
Theuerkauff sagte: »Aber Regula Schnabel ist nicht Regula Schnabel. Das kann ich beschwören, ohne mit ihr gesprochen zu haben. Ihr habt Euch einen Scherz erlaubt. Ich gestehe gern, dass ich einen Moment … einen winzigen Moment … aber nein, ich gestehe nicht. Ich gestehe ja auch nicht, dass morgens der Mond aufgeht und es heute geschneit hat. Nehmt Eure Scheine und zieht von dannen. Der Mann, der an der Tür sitzt, wird Euch Geld geben, damit Ihr Euch etwas zu essen kaufen könnt. Hat mich gefreut.«
So, alles war gesagt, jetzt hätten sie gehen müssen. Aber sie gingen nicht.
»Prüft die Scheine!«, forderte der Strolch, der angeblich Kross hieß. »Wenn Ihr festgestellt habt, dass sie echt sind, reden wir weiter.«
»Ich will hören, was Ihr vorhabt.«
»Es wird so laufen: Wir legen die Scheine bei Gericht vor, damit beginnt die Zeit zu laufen. Unsere Schuldner haben drei Tage Zeit, um zu zahlen. Wenn wir das Geld in der Hand haben, erhalten sie im Tausch dafür den Schuldschein. Wenn dies nicht innerhalb von drei Tagen geschieht, wird die Sache öffentlich.«
Theuerkauff ließ zwei Advokaten holen. Einer begann zu lachen, als er den ersten Namen las, und lachte bei jedem folgenden Namen lauter. Der zweite bemühte sich, keine Regung zu zeigen. Daran erkannte Theuerkauff , wie beeindruckt er war. Beide hatten keinen Zweifel an der Richtigkeit der Scheine. Zumal beide die Handschrift erkannten. So hatte in der Stadt nur einer
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