Die Adler von Lübeck: Historischer Roman
die Luft gehen würde.
»Wie kann man nur!«, rief er. »Wie kann man sich vom unbeliebtesten Lübecker Geld leihen und glauben, es werde schon alles gut gehen? Wie dumm muss man sein, wie arglos? Erklärt mir, was an Eurem Verhalten klug sein soll. Ich möchte das wirklich gerne wissen.«
Von den Gesichtern seiner Beschäftigten las er ab, dass er dabei war, sich daneben zu benehmen. Theuerkauff trat ans Fenster, draußen war es so dunkel wie gestern und morgen um diese Zeit. Aber der Advokat war nicht sicher, ob für die Namen, die auf der Liste standen, morgen die Sonne aufgehen würde.
Es war zu spät, um alle zusammenzutrommeln, man musste bis zum Vormittag warten. Hoffentlich würde keiner eine Dummheit begehen! In Lübeck waren Bürger aus geringeren Gründen ins Wasser gegangen.
Theuerkauff wunderte sich über jeden Namen, am meisten erstaunt war er über Regula Schnabel. Wie kam eine Frau ins Spiel? Es konnte nur so sein, dass sie sich als Strohfrau für ihren Mann hergegeben hatte. So musste es sein, der Reeder war etwas weniger leichtfertig als alle anderen und hatte seine Frau an die Front geschickt. Für einen Ehemann war das kein feiner Zug, für einen Kaufmann schon.
Und wenn es nicht so war? Theuerkauff hatte sich angewöhnt, nicht an einem Punkt mit dem Denken aufzuhören, nur weil er glaubte, es könne nicht mehr weitergehen. So handelten durchschnittliche Advokaten, für sie bildete die Grenze zwischen Wahrscheinlichem und Unwahrscheinlichem die Grenze ihrer Fantasie. Theuerkauff ging über diesen Punkt hinaus.
Wenn Regula auf eigene Faust gehandelt hatte? Wozu brauchte die Frau eines gut situierten Kaufmanns Geld? Wie kam eine Bürgerfrau dazu, sich Schulden aufzuladen? Was für eine Schwäche stand dahinter? Ein Mann, auf einen Mann kam man immer zuerst. Schnabel sah nicht so aus, als wäre er in der Lage, das Herz einer Frau zu bewegen, schneller zu schlagen. Natürlich schaute niemand in fremde Schlafzimmer, aber es gab auch andere Möglichkeiten. Eine Kalamität in der Familie oder … oder …? Theuerkauff wollte nichts einfallen, was Frauen dazu bewegte, an ihrem Mann vorbei zu handeln. So blieb nur ein heimlicher Geliebter, der sich in Geldnöten befand. Heimliche Geliebte neigten dazu. Die Kinder der Schnabels waren zu jung, um schon über ihre Verhältnisse zu leben.
Mit Regula Schnabel hatte der Advokat noch keinen Kontakt aufgenommen. Zu heikel! Wie sollte man einen Brief am Mann vorbeischmuggeln? Wie groß war die Gefahr, den Zorn des Reeders zu wecken? Schnabel war schnell beleidigt, dünnhäutige Männer konnten wahre Quälgeister sein.
Eine Kutsche fuhr vor, Theuerkauff konnte sie hören, aber nicht sehen. Bevor geklopft wurde, wusste er, dass ihm Arbeit ins Haus stand. Die Kutsche fuhr wieder ab. Oder folgte eine zweite?
Theuerkauff straffte sich in den Schultern. Er war bereit, er war immer bereit.
H
Sie waren um halb vier gekommen, sieben Männer, alle von der Liste. Zwei von ihnen gelang es, Haltung zu bewahren. Die anderen waren schon Nervenbündel, als sie ankamen, und wurden es mit jeder Minute mehr. Sie rangen die Hände oder ließen den Kopf hängen, sie fluchten oder klagten, sie taten sich leid. Nur in einem waren sie sich einig: Sie verfluchten Rosländer. Er war schuld, er hatte ihnen das angetan. Er sollte in der Hölle schmoren. Hätte ihm nicht ein anderer den Schädel eingeschlagen, hätten sie es jetzt für ihr Leben gern getan. Theuerkauff forderte sie auf, zur Sachlichkeit zurückzukehren.
Mutter und Tochter Schwertfisch von gegenüber waren aus dem Schlaf geklingelt worden und baten zu Tisch, den sie in der letzten Stunde mit allem beladen hatten, was geeignet war, niedergeschlagenen Mägen neue Zuversicht zu geben. Niemand begriff, warum diese exzellenten Köchinnen es nicht schafften, einen Mann zum Heiraten zu finden. Die ersten beiden hatten nicht lange durchgehalten, die Stadt hatte zugesehen, wie sie sich aufgebläht hatten, bevor beim ersten das Übergewicht erst zu Bewegungsunlust und schließlich zu einem quer sitzenden Hühnerbein geführt hatte, das er nicht aushusten konnte. Der zweite hatte sich dem drohenden Fresstod durch Flucht entzogen.
Beiden Männern gemeinsam war, dass sie die Mutter geheiratet und alsdann begehrliche Blicke auf die Tochter geworfen hatten. Im Grunde hatten sie die Tochter gewollt, aber die Frauen gab es nur im Paket, sodass es letztlich nicht wichtig war, welche man heiratete.
»Mir ist schlecht«,
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