Die Adler von Lübeck: Historischer Roman
berichtete von 30 Bürgern, die sich zum Gespött aller Lübecker gemacht hatten.
Dann sagte sie: »Ich habe auch einen Schuldschein.«
»Ihr meint, Euer Mann hat einen.«
»Nein, er nicht.«
Die Deichmanns blickten sich an.
»Was willst du?«, fragte Joseph, »du sagst doch immer, Frauen sollen selbstständig sein. Sie ist selbstständig gewesen.«
Regulas Augen glänzten, aber sie hatte sich noch unter Kontrolle und schüttete alles vor den Deichmanns aus. Der Reeder Schnabel hatte eine mittellose Frau geheiratet und sollte das nicht wissen. Als es damals zum Schwur der jungen Leute gekommen war, hatte Regula gezögert, ihm die Wahrheit zu sagen. Ihr Vater war ein kleiner Händler, der nach Krankheit und schlechten Geschäften am Boden lag. Regula, in Angst, weil ihr Künftiger beängstigend oft über standesgemäße Verhältnisse und Ersparnisse redete, hatte angefangen, ihr Los in strahlenderen Farben zu malen. Nicht reich, aber auch nicht arm. Reell, zufriedenstellend , kleines Glück im eigenen Heim. Nichts davon stimmte, Regula schmückte aus, schwindelte hier, verschönerte dort. Die redlichen Eltern, in Sorge um das geliebte Kind, hatten anfangs mitgespielt. Und als sie endlich zur Wahrheit rieten, waren sie Wucherern auf den Leim gegangen und starben, ohne jemals wieder auf den grünen Zweig gekommen zu sein. Jahrelang zahlte Regula für sie die Schulden, zweigte Monat für Monat Geld aus dem Schnabelschen Etat ab. Als sie dachte, nun sei ein Ende in Sicht, stand der Wucherer vor der Tür und offenbarte ihr eine Restschuld, die ihr den Atem raubte. Er drängte und drohte, Schnabel zu informieren. Regula sah keinen Ausweg, sie bat Rosländer. Streng genommen bat sie Anna, seine Frau. Aber Rosländer bekam Wind von der Geldnot, riss alles an sich, ein Schuldschein, ein falscher Name, um den nichtsahnenden Schnabel nicht in eine peinliche Lage zu bringen.
Zwei Jahre zahlte Regula ihre Schulden zurück, immer nur ein bisschen. Dann starb Rosländer, sie atmete auf und schämte sich dafür. Aber sie brauchte die Ruhe, denn es ging ihr schlecht. Hätte Schnabel davon erfahren, wäre alles in Scherben gewesen. Voller Angst war ihr Gesicht, verzerrt und hoffnungslos. Was zu tun sei? Was man ihr raten würde?
Trine sagte: »Zuerst habe ich eine Frage. Warum kommt Ihr zu mir? Was glaubt Ihr, kann ich für Euch tun?«
Nun brach es aus Regula heraus. Sie könne nicht mit Männern darüber reden, jeder Mann sei ihrem Mann verpflichtet, und andere Männer würde sie nicht kennen. Sie habe sich nie einen eigenen Kreis von Freunden aufgebaut und habe gewusst, dass ihr dies noch einmal leidtun würde. Verzweifelt sei sie, und jetzt werde in wenigen Stunden jeder wissen, dass sie sich heimlich Geld geliehen habe.
»Ihr seid nicht die Einzige«, wandte Joseph ein.
»Aber die Einzige, die das Geld nicht zurückzahlen kann.«
Eine Bemerkung lag in der Luft, als die drei in der leeren Gaststube saßen, in der es nach Essen, Rauch, Schweiß und Duftwässern roch.
Es war Regula, die das ungute Schweigen brach: »Ich kann ihn nicht bitten. Er würde mich umbringen.«
Zu zweit redeten sie auf sie ein, nicht das Schlimmste zu befürchten. Schnabel sei kein Unmensch, er sei streng und werde auch zornig sein. Aber er werde seine Frau nicht im Stich lassen. Regula widersprach nicht, aber sie glaubte ihnen nicht. So suchten sie nach anderen Lösungen: Sie könne um Aufschub bitten, sie müsse den Namen auf ihrem Schuldschein in Erfahrung bringen und das persönliche Gespräch suchen.
»Ja und dann?«, rief Regula. »Dann muss ich das Geld immer noch auftreiben und habe noch mehr Zeit, um mir das Schlimmste vorzustellen.«
H
Früh am Morgen erschien Trine Deichmann in der Theuerkauff-Kanzlei . Dort herrschte ein Betrieb wie auf dem Markt, nur dass nicht mit Äpfeln und Rüben gehandelt wurde, sondern mit Angst und Geld.
Theuerkauff schlief noch, angeblich sei es letzte Nacht spät geworden. Sie müsse warten, niemand sonst dürfe für ihn entscheiden. Der Name, den sie hören wollte, sei heikel und geheim.
H
Anna Rosländer saß mit ihrem Holzhändler beim Frühstück, als Trine erschien. Man nötigte sie, Platz zu nehmen, sie wehrte sich mit Händen und Füßen, aber sie musste sitzen und essen und durfte erst dann mit ihrem Anliegen kommen. Anna Rosländer hörte zum ersten Mal von den aufgetauchten Schuldscheinen.
»Was bedeutet das?«, fragte sie. »Befanden sich die Scheine schon immer im
Weitere Kostenlose Bücher