Die Adlon - Verschwoerung
ihnen dem größten Lügner von allen gehuldigt hatte, Hermann Göring. Selten war mir mein Deutschsein unangenehmer gewesen als an jenem Tag der schamlosen Lügen. Und weil mir das alles plötzlich wieder vor Augen stand, verspürte ich das Bedürfnis, von Helldorf zu sagen, er solle zur Hölle fahren. Doch das tat ich natürlich nicht. Ich sagte es höflicher. Man sollte zwischen Tapferkeit und ausgemachter Dummheit unterscheiden.
«Es tut mir leid, Herr General, aber ich kann diesen Vordruck nicht unterschreiben. Es wäre so, als würde ich einem wildfremden eine Weihnachtskarte schicken. Abgesehen davon weiß ich rein zufällig, dass die armen Kerle aus Oranienburg nicht freigelassen wurden, sondern in ein neues kz in Lichtenburg gebracht.»
Der General stürzte den Würfelbecher vor sich auf den Tisch und inspizierte das Resultat, als wäre es von Bedeutung. Vielleicht war es das ja auch, und ich wusste es bloß nicht. Vielleicht, hätte er zwei Sechsen geworfen, hätte ich Glück gehabt, und er hätte mich gehen lassen. Vielleicht. Doch er hatte nur eine Eins und eine Zwei. Er schloss die Augen und seufzte.
«Bringen Sie ihn weg», sagte er zu dem Mann im Ledermantel. «Warten wir ab, ob Sie nach einer Nacht in der Zelle Ihre Meinung ändern, Herr Gunther.»
Seine Männer packten mich bei den Schultern meines Anzugs und schleppten mich aus von Helldorfs Büro. Zu meiner Überraschung ging es noch ein Stockwerk hinauf.
«Ein Zimmer mit Aussicht oder wie?»
«All unsere Zellen haben eine hübsche Aussicht auf die Havel», sagte der Typ mit dem Ledermantel. «Und wenn Sie sich morgen immer noch weigern, den Vordruck zu unterschreiben, bekommen Sie eine Schwimmlektion vom Bug der Jacht des Grafen.»
«Das ist nicht nötig. Ich kann schon schwimmen.»
Der Typ mit dem Ledermantel lachte. «Nein, bestimmt nicht. Nicht mit dem Anker der Jacht an den Füßen.»
Sie brachten mich in eine Zelle und sperrten hinter mir ab. Wenn ein Schloss nur außen an der Tür angebracht ist, weiß man, dass man in einer Zelle sitzt und nicht in einem Hotelzimmer. Eine Zelle erkennt man natürlich auch an den Stäben vor dem Fenster und der stinkenden Matratze auf dem feuchten Boden. Die Zelle verfügte über all die üblichen Annehmlichkeiten wie eine Innentoilette in Form eines Eimers, doch es waren die kleinen Dinge, die mich daran erinnerten, dass ich nicht im Adlon übernachtete. Kleine Dinge wie beispielsweise Schaben. Und klein auch nur im Vergleich mit den zeppelingroßen Schaben, die wir in den Schützengräben gejagt hatten. Es heißt, dass der Mensch niemals verhungert auf dieser Welt, wenn er nur je lernt, Schaben zu essen. Sagen Sie das jemandem, der auf so ein Biest getreten oder mitten in der Nacht aufgewacht ist, weil ihm eins im Gesicht saß.
Sigmund Freud hat eine in der Psychoanalyse eingesetzte Technik entwickelt, die sich «freie Assoziation» nennt. Irgendwie wusste ich, dass ich, falls ich diese Nacht überstand, für alle Zeiten Nazis mit Schaben assoziieren würde.
Kapitel 24
Sie ließen mich mehrere Tage in meiner Zelle schmoren, was immerhin besser war als Prügel. Ich hatte reichlich Zeit, um an Noreen zu denken und mich zu sorgen, dass sie sich wohl um mich sorgen würde. Was würde sie denken? Was denkt man, wenn ein geliebter Mensch von den Straßen Berlins verschwindet und im Polizeigewahrsam landet oder in einem Konzentrationslager?
Ich konnte mir jetzt lebhaft vorstellen, wie es sich anfühlte, in diesem neuen Deutschland Jude oder Kommunist zu sein. Die meiste Zeit jedoch sorgte ich mich um mich selbst. Hatten sie wirklich vor, mich in der Havel zu ersäufen, falls ich mich weigerte, das Formular zu unterschreiben? Und falls ich es unterschrieb, wie konnte ich von Helldorf vertrauen, dass er mich nicht geradewegs in so ein Lager schickte?
Wenn ich mir keine Gedanken über meine eigene Zukunft machte, sinnierte ich, dass ich - dank von Helldorf - etwas mehr über den Tod von Isaac Deutsch in Erfahrung gebracht hatte.
Sein Tod stand irgendwie in Zusammenhang mit dem Tod von Dr. Heinrich Rubusch. War es möglich, dass Rubusch in einem Hotelzimmer des Adlon nicht eines natürlichen Todes gestorben war? Und wenn ja - woran war er gestorben? Es war ihm nichts anzusehen gewesen. Rust und Brand, die beiden Beamten, die den Fall untersuchten, hatten mir verraten, dass die Todesursache ein zerebrales Aneurysma gewesen war. Hatten sie gelogen? Und Max Reles - in welchem Zusammenhang stand
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