Die Adlon - Verschwoerung
Beine fühlten sich an wie Pudding, doch ich zwang mich, weiterzugehen und nicht stehen zu bleiben und mich umzusehen. Bei der Treppe angekommen, wartete ich auf weitere Anweisungen.
«Nach unten», sagte die Stimme hinter mir.
Ich trampelte die Treppe hinunter, und meine Ledersohlen schlappten so laut über die Stufen, wie mein Herz gegen meinen Brustkorb pochte. Es war angenehm kühl im Treppenhaus. Frische Luft wehte mir von unten entgegen wie eine Brise vom Meer. Als ich endlich im Erdgeschoss ankam, sah ich vor mir eine große Tür, die hinaus in einen zentralen Hof führte, wo mehrere Einsatzfahrzeuge der Potsdamer Polizei parkten.
Zu meiner Erleichterung ging der Kerl im Ledermantel jetzt vor mir her. Er führte mich in ein kleines Büro, wo man mir meinen Mantel und meinen Hut, meine Krawatte, meine Hosenträger und den Inhalt meiner Taschen aushändigte. Ich steckte mir eine Zigarette zwischen die Lippen und zündete sie an, bevor ich dem Ledermantel durch einen weiteren Korridor und in einen Raum von der Größe eines Schlachthofs folgte. Die Wände bestanden aus weißgekalkten Ziegelsteinen, und an einer hing ein großes Kruzifix aus Holz. Im ersten Moment glaubte ich mich in einer Art Kapelle zu befinden. Wir umrundeten eine Ecke, und ich blieb wie angewurzelt stehen, als ich vor mir - wie einen merkwürdig geformten Tisch mit zugehörigem Stuhl - ein nagelneues Fallbeil erblickte.
Es war aus dunkler, polierter Eiche gefertigt und aus mattem Stahl, knapp zweieinhalb Meter hoch - nicht viel größer als der Henker mit seinem traditionellen Zylinder auf dem Kopf. Für einen Moment ging mir ein eisiger Schauer durch Mark und Bein. Ich musste mir ausdrücklich versichern, dass der Typ im Ledermantel mich wohl kaum eigenhändig exekutieren würde. Die Nazis hatten alles andere als Personalmangel, wenn es darum ging, Justizmorde zu begehen.
«Jede Wette, dass Sie die Hitlerjugend hierherbringen, anstatt ihr Gutenachtgeschichten zu erzählen.»
«Wir dachten, Sie würden gerne einen Blick darauf werfen», sagte Ledermantel. Er kicherte und streichelte zärtlich den Rahmen des Fallbeils «Nur für den Fall, dass Sie jemals die Verlockung spüren, hierher zurückzukommen.»
«Ihre Gastfreundschaft ist überwältigend», sagte ich. «Ich schätze, genau das ist gemeint, wenn die Leute davon reden, dass jemand den Kopf verloren hat. Andererseits könnte es auch als Erinnerung gedacht sein an all die französischen Revolutionäre, die so begeistert waren von der Guillotine: Danton, Robespierre, Desmoulins, Saint-Just und Couthon. Sie durften das Fallbeil am Ende ausnahmslos selbst ausprobieren.»
Er schabte mit dem Daumen über die Klinge. «Es interessiert mich nicht die Bohne, was mit all diesen französischen Kerlen passiert ist.»
«Vielleicht sollte es das aber», entgegnete ich. Ich schnippte meine halbgerauchte Zigarette in Richtung der komplizierten Maschine und folgte dem Ledermantel durch eine Tür in einen weiteren Gang. Diesmal stellte ich erfreut fest, dass er nach draußen auf die Straße führte.
«Nur aus Neugier - warum lassen Sie mich wieder frei? Schließlich habe ich Ihren Vordruck nicht unterzeichnet. War es, weil Sie nicht wissen, wie man Konzentrationslager) richtig schreibt? Oder irgendetwas anderes? Das Gesetz? Gerechtigkeit? Saubere und den Regeln entsprechende polizeiliche Prozeduren? Zugegeben, ich weiß selbst, wie unwahrscheinlich es klingt, aber ich dachte, ich frage nichtsdestotrotz nach.»
«Ich an Ihrer Stelle würde keine Fragen stellen, Freundchen, sondern mich glücklich schätzen, gesund und munter wieder hier rauszukommen.»
«Oh, das tue ich. Allerdings nicht so sehr, wie ich Gott dafür dankbar bin, nicht in Ihrer Haut zu stecken. Das wäre in der Tat deprimierend.»
Ich tippte an meine Hutkrempe und verließ das Gebäude. Einen Augenblick später hörte ich die Tür hinter mir ins Schloss knallen. Es klang viel besser als eine Luger, trotzdem zuckte ich zusammen. Es regnete, doch der Regen war mir willkommen, weil darüber offener, freier Himmel lag. Ich zog meinen Hut ab und hielt mein unrasiertes, ungewaschenes Gesicht in die Höhe. Der Regen fühlte sich noch besser an, als er aussah, und verteilte sich auf meinem Gesicht und in den Haaren wie damals in den Schützengräben, als wir uns nur mit dem Regen wuschen. Regen: etwas Sauberes, das aus dem Himmel herabfiel und einen nicht umbrachte. Doch noch während ich meine zurückgewonnene Freiheit feierte,
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