Die Adlon - Verschwoerung
ziemlicher Sicherheit, dass er sich nur um sich selbst kümmert und niemanden sonst. In dieser Hinsicht ist er absolut typisch für jemanden, der bei der Gestapo arbeitet. Weinberger interessiert sich für nichts anderes als seine eigene Karriere und sein berufliches Fortkommen, koste es, was es wolle.»
Reles nickte und ging minutenlang unschlüssig auf und ab. «In dieser Hinsicht ist er absolut typisch, sagen Sie. In welcher Hinsicht ist er denn untypisch?»
Ich schüttelte den Kopf und merkte, dass ich rasende Kopfschmerzen hatte. Von der Art, dass man glaubt, man müsste den Verstand verlieren. «Ich bin nicht sicher, ob ich weiß, worauf Sie hinauswollen.»
«Ist er vielleicht schwul? Mag er kleine Mädchen? Ist er bestechlich? Wo ist seine Achillesferse? Hat er überhaupt eine?» Er zuckte die Schultern. «Hören Sie, Gunther, ich kann ihn jederzeit umlegen lassen, aber es schlägt hohe Wellen, wenn ein Cop ermordet wird. Wie dieser Schwachkopf, der sich im Sommer vor dem Excelsior hat umlegen lassen. Die Berliner Polizei hat gewaltig Aufhebens gemacht deswegen, meinen Sie nicht?»
«Da sagen Sie was.»
«Ich will ihn nicht umbringen müssen. Aber jeder hat eine Schwachstelle. Ihre ist Noreen Charalambides. Meine ist dieser verdammte Brief in der Schreibtischschublade irgendeines Cops. Richtig? Was also ist die Schwachstelle von diesem Hauptmann Weinberger?»
«Jetzt, wo Sie es sagen ... da wäre etwas.»
Reles schnippte mit den Fingern. «Schießen Sie los, Mann!»
Ich schwieg.
«Scheiße, Gunther, hier geht es nicht um Ihr Gewissen. Hier geht es um Ihre Freundin Noreen. Darum, dass eines Nachts die Tür zu ihrer Wohnung aufgeht und mein Bruder Abe auf ihrer Schwelle steht. Er ist nicht so geschickt mit dem Eispickel wie ich. Wenige Leute sind das, außer vielleicht meinem alten Herrn und dem Arzt, der es ihm beigebracht hat. Ich für meinen Teil benutze genauso gern eine Kanone. Alles, was nötig ist, klar? Aber Abe ...» Reles schüttelte den Kopf und lächelte. «Einmal, daheim in Brooklyn, als wir beide für die Shapiro Brothers gearbeitet haben, einheimische Unterweltfürsten, hat der Junge einen Kerl in einer Waschanlage erledigt, weil er seinen Wagen nicht ordentlich gewaschen hatte. Er hatte einen Fleck auf dem Kotflügel vergessen. Das hat Abe mir jedenfalls hinterher erzählt. Es war am helllichten Tag. Der Kleine schlug ihn k. o. und stach ihm den Eispickel ins Ohr. Keinerlei Spuren. Die Cops dachten, er hätte einen Herzinfarkt gehabt. Die Shapiros, die sind übrigens auch tot. Abe und ich haben Bill letzten Mai in einer Sandgrube lebendig begraben. Das ist einer der Gründe, warum ich überhaupt nach Berlin gekommen bin, Gunther. Um abzuwarten, bis Gras über die Sache gewachsen ist.» Er zögerte. «Also. Habe ich mich klar ausgedrückt? Möchten Sie, dass ich dem Jungen sage, er soll Ihre Schlampe lebendig begraben, wie Bill Shapiro?»
Ich schüttelte den Kopf. «Also schön», sagte ich. «Ich erzähle es Ihnen.»
ZWEITER TEIL
HAVANNA, Februar 1954
Kapitel 1
Wenn der Wind aus dem Norden weht, kracht die See in die Hafenmauer des Malecon de La Habana, als wäre sie von einer belagernden Armee vorangeschickt worden, um in Havanna einen Umsturz herbeizufuhren. Tausende von Litern Wasser werden in die Luft geschleudert und regnen auf die breite Uferpromenade herab. Sie waschen den Staub von den amerikanischen Limousinen, die in Richtung Westen unterwegs sind, und sie durchnässen jene Fußgänger, die wagemutig - beziehungsweise dumm - genug sind, im winterlichen Wetter entlang der Mauer spazieren zu gehen.
Einige Minuten lang beobachtete ich voller Hoffnung das Tosen der Brandung im Mondschein. Die Wellen kamen aber dem Aufziehgrammophon der einheimischen Jugendlichen leider nicht nahe genug, die sich vor meinem Haus zusammengerottet hatten, um dort die Nacht zu verbringen und mich sowie die anderen Mieter, mit der auf der Insel anscheinend allgegenwärtigen Rumba-Musik wach zu halten. Manchmal sehnte ich mich zurück nach den genagelten, unaufhaltsamen Rhythmen einer deutschen Blaskapelle sowie nach der eindeutigen Wirkung einer Stielhandgranate 24.
Außerstande zu schlafen, überlegte ich, zur Casa Marina zu gehen, und verwarf den Gedanken sogleich wieder, weil ich überzeugt war, dass die von mir bevorzugte chica um diese späte Zeit nicht mehr frei wäre. Abgesehen davon schlief Yara in meinem Bett, und sie hätte zwar niemals einen Einwand erhoben, dass ich die
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