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Die Adlon - Verschwoerung

Die Adlon - Verschwoerung

Titel: Die Adlon - Verschwoerung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Kerr
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mit dem Drucken fertig geworden. Sie haben also die Ehre, einer der Ersten zu sein, sie zu lesen. Wir wollen diese Broschüre in den nächsten Monaten überall in der Stadt verteilen. Bitte, Sefior. Lesen Sie sie wenigstens, ja? Und wenn es nur aus dem Grund ist, dass der Mann, der sie geschrieben hat, auf der Isla de Pinos im Zuchthaus schmachtet.»
    «Hitler hat ein viel längeres Buch geschrieben, im Landsberger Gefängnis 1924. Ich habe dieses Buch auch nicht gelesen.»
    «Machen Sie sich nicht lustig darüber, bitte. Fidel ist ein Freund des Volkes.»
    «Das bin ich auch. Hunde und Katzen mögen mich ebenfalls. Trotzdem erwarte ich nicht, dass sie mich deswegen zum Staatschef erheben.»
    «Versprechen Sie mir, dass Sie zumindest einen Blick darauf werfen.»
    «Also schön, meinetwegen», sagte ich, um ihn endlich loszuwerden. «Wenn es Ihnen so viel bedeutet. Ich werde es lesen. Aber stellen Sie mir hinterher bloß keine Fragen dazu. Ich werde mich nur darüber ärgern. Ich mag keine Anteile an einem Farmkollektiv, und ich verzichte von vornherein auf die Gelegenheit, jemanden zu denunzieren, weil er den Fünfjahresplan sabotiert.»
    Ich stieg in meinen Wagen und fuhr rasch davon. Ich war alles andere als zufrieden über die Art und Weise, wie sich der Abend entwickelt hatte. Am Ende der Auffahrt angekommen, kurbelte ich die Scheibe nach unten und warf Castros dämliches Pamphlet in die Büsche, bevor ich nach Norden auf die Hauptstraße in Richtung San Miguel del Padron abbog. Ich hatte einen anderen Plan als der kubanische Rebellenführer, und zwar hatte meiner mit den Mädchen in der Casa Marina zu tun: jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen. Das war die kubanisch-marxistische Dialektik, mit der ich etwas anfangen konnte.
    Es war ein Glück, dass ich Castros Rebellenblatt weggeworfen hatte, denn hinter der nächsten Biegung, gleich vor einer Tankstelle, hatte das Militär die Straße abgesperrt. Ein bewaffneter Soldat winkte mich an die Seite und befahl mir, auszusteigen. Mit erhobenen Händen stand ich am Straßenrand, während ich von zwei Soldaten durchsucht wurde. Als sie mit mir fertig waren, wandten sie sich unter dem gleichmütigen Blick des jungenhaften Offiziers meinem Wagen zu. Ich würdigte den Offizier keines Blickes. Meine Augen ruhten auf den beiden Leichen, die mit dem Gesicht nach unten im Gras lagen. Sie waren durch Kopfschüsse hingerichtet worden.
    Einen Moment war es wieder Juni 1941, und ich war zurück bei meinem Reserve-Polizeibataillon, dem 316., auf der Straße nach Smolensk, in einer Ortschaft namens Goloby in der Ukraine. Ich schob meine Pistole zurück in das Halfter. Ich war der kommandierende Offizier eines Erschießungskommandos, das soeben eine komplette Sicherheitseinheit des nkwd exekutiert hatte. Diese Einheit hatte mehr als dreitausend weiße ukrainische Insassen in den Zellen des nkwd-Gefängnisses von Lutsk ermordet, als unsere Panzer ihnen in die Parade gefahren waren. Wir hatten sie alle exekutiert. Alle dreißig. Im Verlauf der Jahre hatte ich wieder und wieder versucht, diese Exekution vor mir selbst zu rechtfertigen, ohne großen Erfolg. Oft wachte ich nachts schweißgebadet auf und dachte an die achtundzwanzig Männer und zwei Frauen. Die Mehrzahl von ihnen war rein zufällig jüdisch gewesen. Zwei von ihnen hatte ich selbst getötet, indem ich ihnen den sogenannten Gnadenschuss gesetzt hatte. Doch es hatte nichts mit Gnade zu tun. Man konnte sich einreden, dass Krieg herrschte, man konnte sich sogar einreden, dass die Einwohner von Lutsk uns angefleht hatten, die Einheit zu stellen, die ihre Verwandten und Familien ermordet hatte. Man konnte sich einreden, dass eine Kugel in den Kopf ein schneller, gnädiger Tod war im Vergleich zu dem, was diese Leute ihren Gefangenen angetan hatten - die meisten von ihnen waren bei lebendigem Leib verbrannt, als das nkwd Feuer gelegt hatte. Es war trotzdem Mord ...
    Wenn ich nicht auf die beiden Leichen am Straßenrand starrte, dann sah ich hinüber zu dem Mannschaftswagen, der ein paar Meter abseits parkte, in die angstvollen, blutig geschlagenen Gesichter derer, die dort, im hellerleuchteten Heck des Wagens, festgehalten wurden. Es war, als starrte man in ein Wasserbecken voller Hummer. Man hatte den Eindruck, dass jeden Moment einer von ihnen herausgenommen und getötet werden konnte - genau wie die beiden, die bereits am Straßenrand lagen.
    Schließlich kontrollierte der Offizier meinen Ausweis und

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