Die Adlon - Verschwoerung
Er hat gesagt, es wäre ein Missverständnis gewesen. Und so ein Missverständnis ist häufig nichts anderes als eine Straftat.»
«Haben Sie das aus der Berliner Polizeigazette?», fragte Reles, indem er sich eine Zigarre suchte und sie ansteckte.
«Vielleicht. Aber dann müsste ich noch bei der Berliner Polizei sein.»
«Sind Sie aber nicht. Sie arbeiten hier in diesem Hotel, in dem ich Gast bin. Und ein Gast, der eine Menge Geld liegen lässt, wenn ich das so sagen darf. Herr Behlert, sagen Sie dem Sommelier, er möchte uns bitte sechs Flaschen vom besten Champagner des Hauses bringen.»
Rings um den Tisch wurde zustimmendes Gemurmel laut, doch keiner der Versammelten hatte den Schneid, mir in die Augen zu sehen. Wohlgenährte, aufgeschwemmte Gesichter, fest entschlossen, so bald wie möglich zurück zum Trog zu gelangen. Ein Rembrandt'sches Gruppenbild, auf dem jeder in eine andere Richtung sah: Porträt der Vorsteher der Tuchmacherzunft. In diesem Augenblick bemerkte ich ihn - er saß ganz am anderen Ende des Saals, wie ein Mephisto, der leise und geduldig darauf wartete, unter vier Augen mit Faust zu reden. Genau wie die anderen trug er einen Smoking, und wäre nicht sein groteskes Gesicht gewesen, das aussah wie eine Satteltasche, sowie die Tatsache, dass er seine Fingernägel mit einem Klappmesser reinigte, er hätte beinahe einen respektablen Eindruck erweckt.
Wie der Wolf, der sich als Großmutter verkleidet.
Ich vergesse niemals ein Gesicht. Ganz besonders nicht das Gesicht eines Mannes, der einst eine Gruppe von sa-Männern geführt hatte, um mit Waffengewalt gegen eine Gruppe von Gewerkschaftsleuten loszugehen, als diese eine Tanzveranstaltung im «Eden Palast» abhielten. Es hatte vier Tote gegeben, darunter ein Freund von mir aus der Schulzeit. Wahrscheinlich hatte es andere, ähnliche Zwischenfälle gegeben, bei denen er die Verantwortung getragen hatte, doch es war dieser eine, am 23. November 1930, an den ich mich besonders deutlich erinnerte. Und dann fiel mir auch sein Name wieder ein: Gerhard Krempel. Er hatte einige Jahre für den Mord gesessen - zumindest so lange, bis die Nazis an die Macht gekommen waren.
«Wenn ich es mir überlege, bringen Sie doch gleich ein Dutzend Flaschen.»
Normalerweise hätte ich etwas zu Krempel gesagt - eine launige Bemerkung vielleicht oder etwas noch Deutlicheres -, doch das hätte Behlert sicher nicht gefallen. Dass ein Gast vor aller Augen bloßgestellt wird, das machte sich nicht gut im Baedeker. Abgesehen davon, soweit es uns betraf, war Krempel vielleicht der neue Minister für ordentliche Sportplätze und sportliches Verhalten. Und Behlert bugsierte mich bereits vor sich her aus dem Saal, während er sich vor Reles verneigte und eine Entschuldigung nach der anderen stammelte.
Im Adlon erhält ein Gast stets eine richtige Entschuldigung, keine Ausrede. Das war noch so eine von Hedda Adlons Maximen. Darüber hinaus war es das erste Mal, dass ich gesehen hatte, wie sich irgendjemand dafür entschuldigte, eine Schlägerei unterbrochen zu haben. Ich zweifelte nämlich nicht einen Moment daran, dass der Mann, der vorhin an uns vorbeigestürmt war, sich mit Reles geprügelt hatte. Ich hoffte inbrünstig, dass er zurückgeschlagen hatte. Ich hätte selbst nichts dagegen gehabt, ihm ein wenig die Visage zu polieren.
Draußen im Gang bedachte mich Behlert mit einem verärgerten Blick. «Bitte, Herr Gunther, ich weiß ja, dass Sie denken, Sie tun nur Ihre Arbeit - aber vergessen Sie nicht, dass Herr Reles die Ducal-Suite bewohnt. Und dass er deshalb ein sehr wichtiger Gast ist.»
«Ich weiß. Ich habe gerade mit angehört, wie er ein Dutzend Flaschen Champagner bestellt hat. Wie dem auch sei, er umgibt sich mit wirklich hässlicher Gesellschaft.»
«Unsinn!», widersprach Behlert und ging kopfschüttelnd davon auf der Suche nach dem Sommelier. «So ein Unsinn, so ein Unsinn.»
Was soll ich sagen - er hatte natürlich recht. Schließlich umgab uns alle in Hitlerdeutschland sehr, sehr hässliche Gesellschaft.
Kapitel 9
Zimmer 210 lag auf der zweiten Etage im Wilhelmstraßenflügel. Es kostete sechzehn Mark die Nacht und besaß ein eigenes Bad. Ein hübsches Zimmer und einige Quadratmeter größer als meine Wohnung.
Mittag war lange vorbei, als ich dort ankam. An der Tür hing ein «Nicht stören»-Schild sowie ein rosafarbenes Formular, das den in diesem Zimmer wohnenden Gast informierte, dass unten am Empfang eine Nachricht auf ihn wartete. Der
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