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Die Adlon - Verschwoerung

Die Adlon - Verschwoerung

Titel: Die Adlon - Verschwoerung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Kerr
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Behlert rückte nur zögerlich mit der Sprache heraus und war so blass wie von Menzels Kopie des Freskos von Raphael, dem der Saal seinen Namen verdankte.
    «Ich glaube, ein oder zwei Mitglieder des Organisationskomitees waren schon früher am Abend anwesend», sagte er und wischte sich mit einem serviettengroßen Taschentuch die Stirn. Vielleicht war es auch eine Serviette. «Funk vom Propaganda-Ministerium, Conti vom Ministerium des Innern, Hans von Tschammer und Osten, der Reichssportführer. Aber inzwischen sind es hauptsächlich Geschäftsleute aus ganz Deutschland - und Max Reles.»
    «Reles?»
    «Er ist der Gastgeber.»
    «Ah, dann ist es ja gut», sagte ich. «Einen Moment lang dachte ich, einer der Gäste würde versuchen, uns Scherereien zu machen.»
    Als wir uns dem Raphael-Saal näherten, hörten wir laute Rufe. Dann flogen die Doppeltüren auf, und zwei Männer stürmten heraus. Nennen Sie mich meinetwegen einen Bolschewiken, doch an ihren Bäuchen erkannte ich, dass es sich um deutsche Geschäftsleute handeln musste. Einer der beiden hatte eine Fliege verdreht um den nicht vorhandenen Hals hängen und darüber ein Gesicht, so rot wie die kleinen Nazi-Papierfähnchen, die um mehrere gleichfalls papierne olympische Fahnen auf einer Staffelei neben der Tür drapiert waren. Eine Sekunde lang überlegte ich, ob ich ihn fragen sollte, was passiert war, doch er hätte mich zweifellos niedergetrampelt wie eine unschuldige Teeplantage, die einem wütenden Elefantenbullen in die Quere kommt.
    Wir ließen die beiden passieren. Behlert folgte mir durch die Tür in den Saal, und noch während ich nach Max Reles Ausschau hielt, hörte ich ihn etwas über Laurel und Hardy sagen. Er bemerkte mich und verzog das harte Gesicht zu einer Art Grinsen, während sein massiger Leib eine entschuldigende, beinahe diplomatische Haltung annahm, die selbst einem Prinz Metternich gut zu Gesicht gestanden hätte.
    «Es war alles ein großes Missverständnis», sagte er, und an die restlichen Personen im Saal gewandt: «Würden Sie das nicht auch so sehen, meine Herren?»
    Wären nicht seine Haare so wirr gewesen und hätte nicht Blut an seinem Mundwinkel geklebt, ich hätte ihm fast geglaubt.
    Reles blickte sich nach Unterstützung suchend am Tisch um. Irgendwo inmitten dichter Wolken von Zigarrenqualm murmelte es zustimmend. Wie ein päpstliches Konklave, das seit mehreren Jahren den Kamin in der Sixtinischen Kapelle vernachlässigt und sich das Geld für den Schornsteinfeger gespart hatte.
    «Sehen Sie?» Reles hob seine riesigen Pranken in die Höhe, als zielte ich mit einer Waffe auf ihn. Aus irgendeinem Grund hatte ich das Gefühl, dass er, wäre es so gewesen, kaum anders reagiert hätte. Reles hätte selbst auf dem Behandlungsstuhl eines betrunkenen Zahnarztes die Nerven behalten. «Ein Sturm in der Teetasse, weiter nichts.» Es klang irgendwie komisch auf Deutsch, und er verbesserte sich auch sogleich, indem er mit den dicken Fingern schnippend fortfuhr: «Ich meine natürlich im Wasserglas, in Ordnung?»
    Behlert nickte eifrig. «Ja, das ist richtig, Herr Reles.» Um dann noch kriecherisch hinzuzufügen: «Wenn ich mir die Bemerkung erlauben darf, Ihr Deutsch ist ganz ausgezeichnet.»
    Reles blickte ungewöhnlich dümmlich drein. «Na ja, es ist eine verdammt schwere Sprache ... angesichts der Tatsache, dass sie wahrscheinlich erfunden wurde, um Zügen zu sagen, wann es an der Zeit ist, den Bahnhof zu verlassen.»
    Behlert lächelte salbungsvoll.
    «Wie dem auch sei», sagte ich unbeeindruckt und nahm nacheinander mehrere zerbrochene Weingläser vom Tisch in die Hand. «Es sieht aus, als wäre ein Sturm durch den Saal gegangen. Diese Gläser kosten fünfzig Pfennig das Stück.»
    «Ich zahle selbstverständlich sämtliches zerbrochene Geschirr.» Reles grinste seine selbstzufrieden dreinblickenden Gäste an und zeigte mit dem Finger auf mich. «Soll man das für möglich halten? Er will doch tatsächlich, dass ich die kaputten Gläser bezahle!»
    Niemand auf der Welt kann so zufrieden mit sich selbst dreinblicken wie ein deutscher Geschäftsmann mit einer Zigarre im Mund.
    «Aber das kommt überhaupt nicht infrage», mischte sich Behlert ein und sah mich so kritisch an, als hätte ich Schmutz an den Schuhen - oder Schlimmeres. «Gunther», sagte er tadelnd. «Wenn Herr Reles sagt, dass es ein Unfall war, besteht nicht der geringste Grund, die Sache weiter zu verfolgen.»
    «Er hat aber nicht gesagt, dass es ein Unfall war.

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