Die Adlon - Verschwoerung
Gott sehr nützlich, sondern auch für einen Detektiv. Natürlich ist Allwissenheit bei einem Detektiv nichts weiter als eine Illusion, wie schon Piaton wusste. Einer der Gründe, warum er ein besserer Schriftsteller war als Sir Arthur Conan Doyle.
Unbemerkt von der Frau des Hauses trat ich in den Aufzug.
«Welche Etage?», wollte der Liftboy Wolfgang wissen.
«Fahren Sie einfach hoch.»
Wolfgangs weiße Handschuhe bewegten sich elegant über die Knöpfe wie die eines Magiers, und ich spürte, wie mein Magen in meinem Rumpf nach unten sackte, als wir zu dem Ort hinauffuhren, der in Lorenz Adlons Vorstellung dem Himmel an nächsten kam.
«Wo drückt denn der Schuh, Herr Gunther?», fragte Wolfgang.
«Haben Sie gestern Abend Freudenmädchen in den zweiten Stock hinauffahren sehen?»
«Herr Gunther, dieser Aufzug wird von vielen Frauen benutzt. Doris Duke, Barbara Hutton, die Botschafterin der Sowjetunion, die Königin von Siam, Prinzessin Mafalda und wer nicht alles. Bei denen weiß man, woran man ist. Aber diese Schauspielerinnen, diese Filmstars und Showgirls ... sie sehen in meinen Augen alle aus wie Freudenmädchen. Ich schätze, deshalb bin ich der Liftboy und nicht der Hausdetektiv.»
«Da haben Sie selbstverständlich recht, Wolfgang.»
Er erwiderte mein Grinsen. «Ein schickes Hotel ist wie eine Schaufensterauslage, wissen Sie? Alles ist Schau. Ah, jetzt fallt mir etwas ein: Ich habe Herrn Muller gegen zwei Uhr morgens auf der Treppe mit einer Dame reden sehen. Gut möglich, dass sie ein Freudenmädchen war, außer dass sie Diamanten getragen hat. Und eine Tiara. Wenn ich es bedenke, war sie vielleicht doch kein Freudenmädchen. Wenn sie sich teuren Schmuck leisten konnte, warum sollte sie dann wildfremde Kerle an ihre Muschi lassen? Auf der anderen Seite, wenn sie eine Dame war, warum sollte sie dann mit einer Schweinsblase wie Muller reden? Ohne Ihnen zu nahe treten zu wollen, Herr Gunther.»
«Keine Sorge, Wolfgang, Muller ist eine Schweinsblase. War diese Dame blond oder brünett?»
«Blond, und ziemlich dickes Haar.»
«Ich freue mich, das zu hören», sagte ich und strich im Geiste Dora Bauer von meiner Liste möglicher Verdächtiger. Sie hatte kurzes braunes Haar und konnte sich wohl kaum eine Tiara leisten.
«Sonst noch etwas?»
«Sie hatte viel Parfüm aufgetragen. Roch wirklich sehr gut. Wie Aphrodite persönlich.»
«Ich verstehe. Ist sie mit Ihnen gefahren?»
«Nein. Sie muss die Treppe benutzt haben.»
«Oder vielleicht ist sie auf den Rücken eines Schwans gestiegen und geradewegs aus dem Fenster geflogen. Das hätte Aphrodite an ihrer Stelle getan.»
«Glauben Sie, ich sage nicht die Wahrheit, Herr Gunther?»
«Nein, nein, ganz und gar nicht. Sie sind nur ein unverbesserlicher Romantiker.»
«Da haben Sie allerdings recht, mein Herr.» Wolfgang grinste. «Das bin ich.»
«Ich auch.»
Muller war in dem Büro, das wir uns teilten - das war auch das Einzige, was wir teilten. Er hasste mich, und ich hätte, wäre er mir nicht so unendlich egal gewesen, ihn womöglich zurückgehasst. Bevor er zum Adlon gekommen war, war er ein Ledertschako bei der Potsdamer Polizei gewesen, ein uniformierter Bohler mit einer instinktiven Abneigung gegen Kriminalbeamte vom Alex, wie ich einer war. Er war außerdem in einem Freikorps gewesen und rechter als die Nazis, weshalb er mich umso mehr hasste. Er hasste alle Republikaner, wie der Bauer die Ratten hasst. Wäre nicht seine Trinkerei gewesen, er hätte bei der Polizei bleiben können. Stattdessen war er im vorzeitigen Ruhestand und spielte genau so lange den Enthaltsamen, bis er die Anstellung im Adlon in der Tasche gehabt hatte, um anschließend wieder mit dem Trinken anzufangen. Meistens hatte er sich unter Kontrolle, so viel musste ich ihm lassen. Meistens. Ich hätte mir vornehmen können, für seinen Rauswurf zu sorgen, doch so war es nicht. Natürlich wussten wir beide, dass es nicht lange dauern konnte, bis Behlert oder einer der Adlons ihn betrunken bei der Arbeit antraf. Ich hoffte nur, ohne irgendwelches Zutun von meiner Seite. Andererseits wusste ich, dass ich mit der Enttäuschung leben konnte, sollte sich herausstellen, dass es nicht der Fall war.
Muller saß schlafend in seinem Sessel. Auf dem Fußboden neben seinem Fuß stand eine halbe Flasche Bismarck, und in der Hand hielt er ein leeres Glas. Er hatte sich nicht rasiert, und aus seiner Nase und seiner Kehle kam das Geräusch, das so klang, als zerrte man eine schwere
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