Die Adlon - Verschwoerung
Holztruhe über einen Dielenboden. Er sah aus wie der uneingeladene Gast auf einer Bauernhochzeit von Brueghel. Ich schob die Hand in seine Manteltasche und zog seine Geldbörse hervor. Darinnen fand ich vier nagelneue Fünf-Mark-Noten mit Seriennummern, die zu den Geldscheinen auf Rubuschs Schreibtisch passten. Ich nahm an, dass Muller dem Toten das Freudenmädchen entweder beschafft oder hinterher von ihr ein Bestechungsgeld kassiert hatte. Vielleicht auch beides, doch das spielte wohl kaum eine Rolle. Ich schob die Noten zurück in die Geldbörse und die Geldbörse zurück in die Tasche, dann trat ich ihm gegen den Fuß.
«He! Sigmund Romberg! Wachen Sie auf!»
Muller rührte sich, sog tief Luft in die Lungen und stieß dann einen Atemzug aus, der stank wie ein nasser Malzboden. Indem er sein stoppelbärtiges Kinn mit dem Handrücken kratzte, blickte er sich durstig nach etwas zu trinken um. «An Ihrem linken Fuß», sagte ich.
Er sah hinunter zu der Flasche und tat, als würde er sie ignorieren, doch es war nicht sonderlich überzeugend. «Was wollen Sie?»
«Danke, aber es ist noch ein wenig früh für mich. Bedienen Sie sich nur, wenn es das Denken für Sie einfacher macht. Ich bleibe hier stehen und sehe Ihnen zu und amüsiere mich bei dem Gedanken, wie Ihre Leber aussehen muss. Jede Wette, dass das ein ziemlich interessanter Anblick wäre. Vielleicht sollte ich sie ja malen. Ich betätige mich hin und wieder nämlich in abstrakter Malerei, wissen Sie? Warten Sie ... was halten Sie von Stillleben mit Leber und Zwiebel? Wir könnten Ihr Hirn als Zwiebel benutzen, was sagen Sie?»
«Was wollen Sie?»
Sein Tonfall war ungeduldiger, als würde er sich innerlich darauf vorbereiten, sich gleich auf mich zu stürzen. Doch ich war auf der Hut und bewegte mich tänzelnd durch das Zimmer für den Fall, dass ich ihn abwehren musste. Eine solide Rechte ans Kinn konnte vielleicht helfen, dass er wieder nüchtern war.
«Da wir gerade von Ästhetik reden, warum erzählen Sie mir nichts von dem Freudenmädchen, das gestern Nacht im Haus war? Dem Freudenmädchen mit der Tiara? Die den Mann in Zweihundertzehn besucht hat. Rubusch der Name, Heinrich Rubusch. Hat er Ihnen die vier Scheine gegeben, oder haben Sie sie hinterher der Mieze abgeknöpft? Sollten Sie sich fragen, was zum Teufel mich das alles verdammt nochmal angeht, dann lassen Sie sich von mir sagen, dass Rubusch tot ist.»
«Wer sagt, ich hätte vier Scheine von jemandem genommen?»
«Ihre Sorge um das Wohlergehen der Gäste des Hauses ist höchst rührend, Muller. Die Seriennummern auf den neuen Scheinen in Ihrer Geldbörse passen zu den Banknoten auf dem Schreibtisch im Zimmer des Toten.»
«Sie waren an meiner Geldbörse?»
«Sie fragen sich vielleicht, warum ich Ihnen verrate, dass ich an Ihrer Geldbörse war. Tatsache ist, ich hätte Behlert oder Pieck oder auch Herrn oder Frau Adlon mitbringen und die Banknoten vor ihren Augen aus Ihrer Geldbörse holen können. Aber das habe ich nicht. Und jetzt fragen Sie mich, warum.»
«Also schön: Warum?»
«Weil ich nicht will, dass man Sie feuert, Muller. Ich will Sie nur aus diesem Hotel haben. Ich biete Ihnen eine Gelegenheit, den Laden von sich aus zu verlassen. Wer weiß, auf diese Weise kriegen Sie vielleicht sogar ein Zeugnis.»
«Angenommen, ich will nicht verschwinden?»
«Dann gehe ich sie holen. Sicher, bis ich mit ihnen wieder hier bin, haben Sie die Geldscheine längst verschwinden lassen. Aber das spielt keine Rolle, die Scheine sind nicht der Grund dafür, dass man Sie feuern wird. Man wird Sie feuern, weil Sie sturzbetrunken sind. Sie stinken so sehr nach Alkohol, dass die Stadt schon überlegt, ob sie einen Gasschnüffler herschicken soll, um die Leitungen zu kontrollieren.»
«Betrunken, sagt er!» Muller nahm die Flasche vom Boden auf und leerte sie in einem Zug. «Was erwarten Sie denn, bei einer Arbeit wie dieser hier, mit so viel Langeweile und Nichtstun? Was soll ein Mann den lieben langen Tag mit sich anfangen, wenn er nicht trinken darf?»
In diesem Punkt war ich beinahe bereit, ihm zuzustimmen. Die Arbeit war langweilig. Ich langweilte mich auch. Ich fühlte mich wie ein Kalbsfuß in Aspik.
Muller sah auf die leere Flasche und grinste. «Sie halten sich wahrscheinlich für unglaublich schlau, was, Gunther?»
«Bei Ihrer intellektuellen Ausstattung kann ich verstehen, warum es so scheinen mag. Trotzdem gibt es eine ganze Menge Dinge, die ich nicht weiß. Ich weiß zum
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