Die Adlon - Verschwoerung
Redaktion ist man verwirrt. Nein, man ist erstaunt darüber, wie Brundage zu seinen Schlussfolgerungen gelangen konnte. Der amerikanische Botschafter Mr. Dodd, der Generalkonsul Mr. Messersmith und der Vizekonsul Mr. Geist - sie alle haben sich an meine Regierung gewandt und ihre größte Bestürzung über den Bericht von Mr. Brundage zum Ausdruck gebracht. Und an ihren eigenen Bericht erinnert, den sie im vergangenen Jahr an das State Department geschickt und in dem sie darauf hingewiesen haben, dass Juden aus sämtlichen deutschen Sportvereinen ausgeschlossen wurden. Brundage ...»
«Das ist der Präsident des US-Amerikanischen Olympischen Komitees», erklärte Hedda Adlon, indem sie ihre Freundin unnötigerweise unterbrach.
«Er ist eine bigotte Person», ereiferte sich Mrs. Charalambides. «Und ein Antisemit, wie er im Buche steht. Man muss Antisemit sein, um zu ignorieren, was in diesem Land geschieht. Die vielen Beispiele unverhohlener Diskriminierung. Die Schilder in den Parks. In den öffentlichen Bädern. Die Pogrome.»
«Pogrome?» Ich runzelte die Stirn. «Das ist übertrieben. Ich habe nichts von Pogromen gehört. Wir sind hier in Berlin, nicht in Odessa.»
«Im Juli wurden vier Juden von SS-Leuten ermordet. In Hirschberg.»
«Hirschberg?» Ich grinste spöttisch. «Das ist in der Tschecho-Slowakei. Oder in Polen, ich hab vergessen, wo genau. Jedenfalls ist es im Koboldland. Nicht in Deutschland.»
«Es ist im Sudetenland», sagte Mrs. Charalambides. «Die Menschen dort sind Deutsche.»
«Sagen Sie das nicht Hitler», entgegnete ich. «Oder er verlangt sie zurück. Hören Sie, Mrs. Charalambides, ich bin nicht mit dem einverstanden, was in Deutschland passiert, ganz und gar nicht. Aber ist es wirklich schlimmer als das, was in Ihrem eigenen Land geschieht? Die Schilder in den Parks und in den öffentlichen Bädern? Die Lynchmobs? Und wenn ich recht informiert bin, sind es nicht nur Neger, die von aufgebrachten Weißen aufgehängt werden. Mexikaner und Italiener müssen in gewissen Gegenden der Vereinigten Staaten ebenfalls sehr vorsichtig sein. Ich erinnere mich nicht, dass jemand vorgeschlagen hätte, die Olympischen Spiele von Los Angeles 1932 zu boykottieren.»
«Sie sind gut informiert, Herr Gunther», räumte sie ein. «Und Sie haben selbstverständlich recht. Tatsächlich habe ich einen Artikel über einen solchen Lynchmord geschrieben, den ich 1930 in Georgia mit ansehen musste. Doch jetzt bin ich hier in Deutschland, und ich bin Jüdin, und meine Zeitung möchte, dass ich über das schreibe, was in Deutschland geschieht. Und genau das habe ich vor.»
«Nun, das freut mich für Sie», entgegnete ich. «Ich hoffe, Sie können die aoa überzeugen. Ich würde zu gerne sehen, wie die Nazis darauf reagieren, wenn ihnen die Maske vom Gesicht gerissen wird. Und ich wäre geradezu begeistert, wenn dieser österreichische Clown ein paar Eier ins Gesicht bekäme. Doch ich vermag nicht zu sehen, was das alles mit mir zu tun hat. Ich bin ein einfacher Hoteldetektiv und kein Presseattache.»
Hedda Adlon klappte ein silbernes Zigarettenetui von der Größe eines kleinen Mausoleums auf und hielt es mir hin. Auf der einen Seite des Etuis waren englische, auf der anderen türkische Zigaretten, als stellten sie die Schlacht von Gallipoli nach. Ich entschied mich für die Siegerseite und ließ mir von ihr Feuer geben. Die Zigarette war besser als alles, was ich gewöhnt war. Ich warf einen hoffnungsvollen Blick auf die Zimmerbar mit den vollen Karaffen, doch Hedda Adlon trank selbst nicht viel und nahm vermutlich an, dass ich es mit dem Alkohol genauso hielt. Abgesehen davon gab sie sich die größte Mühe, mich gut aussehen zu lassen. Darin hatte sie gute Übung.
«Herr Behlert hat mir berichtet, was passiert ist, nachdem Sie auf dem Alex waren», sagte Hedda. «Von diesem armen jüdischen Mann und dass die Polizei sich weigert, seinen Tod zu untersuchen. Wegen seiner Herkunft und Rasse.»
«M-hmmm.»
«Und Sie glauben, dass er vielleicht ein Boxer gewesen sein könnte?»
«M-hmmm.» Keine der beiden Damen rauchte. Die türkische Zigarette in meinem Mund war ausgesprochen stark, doch so einfach würden sie mich nicht überzeugen, bei dem mitzumachen, was sie vorhatten.
«Ich hatte gedacht, dass die Geschichte dieses Toten vielleicht Anlass für einen interessanten Artikel in meiner Zeitung sein könnte», sagte Noreen Charalambides. «Vielleicht wurde der Boxer ermordet, weil er Jude war. Wussten Sie,
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