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Die Ängstlichen - Roman

Die Ängstlichen - Roman

Titel: Die Ängstlichen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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ausgeschieden war, verband Johanna eine Art Hassliebe. Einmal in der Woche telefonierten sie miteinander, führten mehr oder weniger nichtssagende Gespräche über die wechselnden Blessuren, die ihnen das Alter zufügte, und dann und wann über Sterbefälle im Bekanntenkreis. In Johannas Augen war Erika eine ausgemachte Opportunistin, die ihr Leben lang nur ihren eigenen Vorteil im Auge gehabt hatte. Trotzdem ergriff sie vehement Partei für die ehemalige Volksschullehrerin, sobald zum Beispiel Ben es wagte, sie als solche zu bezeichnen.
    »Wie geht es dir?«, fragte Erika mit ihrer weinerlichen, stets leicht erstickt klingenden Stimme.
    »Janek ist tot!«, entfuhr es Johanna.
    »Ach, du meine Güte!«, erwiderte Erika und schickte einen gravitätischen Seufzer in den Äther. »Ach, du Arme!«
    »Man weiß noch nichts Genaues«, sagte Johanna bekümmert. »Die Polizei denkt an Selbstmord!«
    »Selbstmord«, ächzte Erika ungläubig.
    »Ja, stell dir vor«, sagte Johanna, die ein Schluchzen nun kaum noch zu unterdrücken vermochte, »erst Gustav und nun Janek, ach Gott! Und sei bitte so nett und komm am Samstag in vierzehn Tagen in die Ankergasse! Alle anderen werden auch da sein.«
    »Die Trauerfeier, ich verstehe«, erwiderte Erika.
    »Nein, es geht um etwas anderes«, sagte Johanna, die sich wieder gefangen hatte.
    Erika schwieg hartnäckig.
    »Also, was ist jetzt?«, rief Johanna, »kommst du?«
    »Na schön, wenn’s unbedingt sein muss«, seufzte Erika unwillig, die auch vier Monate nach dem Tod ihres Mannes Schwarz trug, »ich komme, in Gottes Namen. Ach, das mit Janek ist ein solches Unglück!«
    »Ich werde Helmut bitten, dass er dich abholt!«, sagte Johanna mit einem Kratzen in der Stimme. »Am besten rufe ich ihn gleich an.« Sie drückte auf die Gabel und wählte sogleich die Nummer ihres Sohnes. (Sie spürte stärker denn je, dass sie alle ein letztes Mal um sich scharen musste, um sie an ihrem Schritt, der Ankergasse für immer den Rücken zu kehren, teilhaben zu lassen. Schließlich war die Ankergasse für die meisten von ihnen lange Zeit ein Zuhause gewesen, und zweifellos empfanden sie, das dachte sie jedenfalls, eine ähnlich starke Verbundenheit mit diesem Ort wie sie selbst.)
    Helmut hatte bei seinem überraschenden Besuch am Vorabend einen entsetzlichen Eindruck auf sie gemacht. Nachdem sie ihm rasch ein paar Spiegeleier und einen Gurkensalat zubereitet hatte, was er beides gemeinsam mit zwei Schnitten Brot stumm verzehrte, und seine Kleider halbwegs getrocknet waren, hatte er sich ziemlich kleinlaut angezogen und war verschwunden. Johanna hatte ihm angeboten, bei ihr zu schlafen, doch Helmut hatte abgelehnt.
    »Du kannst auf der Couch im Wohnzimmer schlafen, na komm, bleib doch!«, hatte sie gesagt und gehofft, er würde ihrer Bitte Folge leisten, gerade jetzt, wo die Sache mit Janek passiert war und sie das Gefühl hatte, die Familie müsse im wahrsten Sinne des Wortes enger zusammenrücken.
    Nachdem sie Helmut nicht ans Telefon bekommen hatte, wählte sie Ulrikes Nummer in Fulda. Nach dem dritten Läuten meldete sich Rainer.
    »Taubitz?«
    »Ach Rainer, du bist zu Hause?«, sagte Johanna.
    »Ulrike ist nicht da, Mutter!«, sagte er ungewohnt barsch. »Das war es doch, was du mich fragen wolltest, nicht wahr?«
    »Ja schon, aber …« Sie stockte.
    »Deine Tochter hat es vorgezogen, letzte Nacht außer Haus zu verbringen!«, sagte er. »Gut, was? Außerdem hat sie mir einen mordsmäßigen Saustall hinterlassen.«
    Johanna drückte den Hörer fester ans Ohr. »Was soll denn das heißen, Rainer?«
    »Dass deine Tochter sich in der Weltgeschichte herumtreibt und über Nacht wegbleibt, das soll es heißen, Mutter!«, antwortete er.
    »Rainer, was ist denn da los bei euch? Ihr habt doch nicht etwa Eheprobleme? Rainer?«
    »Nenn es, wie du willst, Mutter«, sagte Rainer. »Fakt ist, dass sie bis jetzt nicht nach Hause gekommen ist. Und Fakt ist ebenso, dass ich nicht gewillt bin, mir ein solches Verhalten bieten zu lassen. Doch zu dir, Mutter, was gibt es? Ich bin in Eile.« (Was bedeutete: Ich muss mich um alles selbst kümmern. Keine Ahnung, wo sie nun wieder mein blaues Einstecktuch hingelegt hat. Und Butter ist auch keine mehr da!)
    »Ich wollte euch mitteilen, dass man Janeks Wagen in Steinheim gefunden hat, voller Blut! Von ihm keine Spur!«
    »Was?«, sagte Rainer überrascht. »Blut?«
    »Die Kriminalpolizei war bei mir. Sie haben mich gefragt, ob er gesundheitliche Probleme hatte und ob er

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