Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Ängstlichen - Roman

Die Ängstlichen - Roman

Titel: Die Ängstlichen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
Vom Netzwerk:
ungestümen elektrischen Ladungen des Unwetters noch kürzlich an den Mauern seiner kleinen und offenbar uneinnehmbaren Festung abgeprallt, während es andere mitsamt ihrer Habe auf Wellen aus Schlick und Morast davongespült hatte. (Okay, seinen Garten mit der Thuja, den Rosenhecken und den Basaltsteinplatten hatte die Flut ebenfalls in eine Schlammgrube verwandelt. Und sicher würde es ihn Tage kosten, die von den brauen Erdmassen bedeckte Kellertreppe wieder begehbar zu machen.)
    Zufrieden wandte Helmut sich ab, schlurfte auf platten Sohlen zurück zum Bett und sank erschöpft in die Laken. Der Druck auf seine Lider wurde plötzlich so groß, dass er nicht anders konnte, als sie zu schließen und sich davontragen zu lassen auf der sachten, beruhigenden Welle eines Minutenschlafs. Doch kaum dass sich die Erlösung der Bewusstlosigkeit vollendseingestellt hatte, wurde auch schon die Zimmertür aufgestoßen und Helmut unsanft in die strahlende Wirklichkeit des Zimmers zurückbefördert. Begleitet vom Flappen ihrer Plastiklatschen, rief eine empörend gut gelaunte Frauenstimme: »Sie haben geklingelt, guten Morgen, Herr Jansen! Ausgeschlafen?«
    Geschlafen?, echote eine Stimme in seinem Hinterkopf erbost, ohne dass auch nur eine Silbe davon über seine trockenen Lippen kam. Betäubt nach allen Regeln der Kunst haben sie mich!
    »Wer sind Sie?«, rief Helmut stattdessen und richtete sich ein Stück weit im Bett auf.
    »Schwester Jolanda von der Frühschicht«, antwortete die andere, versetzte seine Klingel mit einem routinierten Handgriff in Alarmbereitschaft, steuerte auf ihn zu und blieb vor seinem Bett stehen.
    »Alles gut überstanden?«, sagte sie und sah ihn forschend an. (Wieso gafft sie mich bloß so blöde an?, dachte Helmut.) Er blickte in ein mittelaltes weibliches Gesicht: hängende Wangen, Runzeln, kleine, irritierend leuchtende Augen. Eine prähistorische Formation mit menschlichem Antlitz, deren Frisur an ein zerlaufendes Stück Himbeercremetorte erinnerte.
    »Wie man’s nimmt«, sagte Helmut mürrisch und zog angesichts von so viel unerwünschter Anteilnahme schützend die Bettdecke hinauf bis zum Kinn.
    »Ich habe Ihnen Ihr Frühstück gebracht!«, sagte sie und wies auf das auf dem Tisch stehende Tablett.
    »Ja, danke«, knurrte er und konnte es kaum erwarten, dass diese aufdringliche Person den Raum wieder verließ, damit er endlich auf die Toilette konnte. Denn plötzlich verspürte er einen sich steigernden Druck auf seiner Blase. Außerdem klebte seine Zunge am Gaumen fest, er musste schleunigst etwas trinken. Und tatsächlich tat sie ihm, nachdem sie zuvorgegen seinen Willen das Fenster einen Spaltbreit geöffnet hatte und kurz im Badezimmer verschwunden war, so dass kühle Luft hereinwirbelte und einen betäubenden Geruch von Abgasen zu ihm hereintrug, den Gefallen zu verschwinden.
    Helmut schlug die Bettdecke beiseite, schob beide Beine über den Rand des Bettes und setzte diesmal, nach kurzer Pendelbewegung, zielgenau mit beiden Füßen auf seinen Hausschuhen auf. Er stieg hinein, ging ins Bad und knipste das mit einem kurzen Ächzen anspringende Deckenlicht an.
    Zögerlich und in Erwartung eines dicken Verbandes in der Scham- oder Leistengegend zog er das Nachthemd hoch und inspizierte die Lage. Doch zu seiner Überraschung fand sich lediglich ein fleischfarbenes Pflaster von der Größe einer Ein-Euro-Briefmarke oberhalb seiner rechten Leiste. Ein Winzling, wie man ihn Kleinkindern um den Daumen klebte, wenn sie sich beim Basteln geschnitten hatten.
    Er registrierte ein leichtes, aber beharrliches Brennen in der Harnröhre. O Gott, dachte er, offenbar haben sie gar nicht erst versucht, mich zu retten! Haben bloß kurz reingeguckt und wieder zugemacht.
    Helmut klappte den Klodeckel hoch, setzte sich auf die Brille und starrte betreten auf die abgestoßenen Spitzen seiner Hausschuhe. Nach kurzer Stille vernahm er das Geräusch seines in Schüben in die Schüssel rieselnden Urins. Ein Plätschern, sanft und einlullend wie das Tschilpen eines Sperlings.
    Er blieb lange reglos sitzen, niedergedrückt von der Angst, sich umzudrehen und eine Lache Blut sehen zu müssen. Und so hätte er am liebsten gespült, ohne das Endprodukt seiner Nierentätigkeit zu begutachten. Irgendetwas aber sagte ihm, dass es nichts nutzte, den Kopf in den Sand zu stecken. Und so nahm er allen Mut zusammen, wandte sich jäh um und inspizierte das Resultat.
    Es war, als hielte die Zeit plötzlich ganz kurz inne. Alles

Weitere Kostenlose Bücher