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Die Ängstlichen - Roman

Die Ängstlichen - Roman

Titel: Die Ängstlichen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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nochmals an jenen gütigen (aber offenbar unsteten) Gott, der sie so lange verlässlich durch die Höhen und Tiefen ihres wechselvollen Ehe- und Familienalltags geführt und begleitet hatte, er möge sie noch einmal (ein letztes Mal, versprochen!) erhören und dem Spuk ein Ende machen. Doch statt der erhofften Botschaften aus dem Jenseits (oder von sonst woher), die ihr Auftrieb und Ermunterung spenden sollten, vernahm sie nur das leise Rinnen des Spülwassers (ein Zischeln wie von Gas, das aus einem offenen Herd ausströmt, in den jemand seinen Kopf hineingelegt hat, um seinem freudlosen Dasein ein Ende zu machen).
     
    A nfangs versuchte Ben, das Schrillen in seinen Traum zu integrieren (und tastete, einem fragwürdigen Reflex gehorchend, mit geschlossenen Augen nach seinem Handy). Bis sich das Geräusch nicht länger ignorieren ließ, er ärgerlich die Augen aufschlug und endlich begriff: Draußen in der Diele läutete das Telefon!
    Er rappelte sich auf, stieg schwankend über den Wäscheberg vor dem Bett und tappte hinaus auf den Gang. Seine Hand ging zum Hörer. Doch im selben Moment war das Läuten verstummt, und Ben sah, wie, signalisiert vom Aufleuchten der roten Leuchtdiode der Record-Taste, die Aufnahme begann und jemand eine Nachricht hinterließ. Er zog die Hand zurück, als plötzlich Iris’ Stimme ertönte, die sagte: »Geh ran, wenn du da bist, Ben, na los!«
    Doch statt zum Hörer zu greifen, starrte er auf das rote Leuchten, unfähig, sich zu rühren. Die Stimme verstummte, es folgte ein kurzes mechanisches Klicken, dann das trockeneSurren der Rückspulautomatik. Ein neuerliches Klicken, die Message-Taste blinkte ebenfalls rot, und auf dem kleinen eckigen Display daneben leuchtete eine rubinrote »1«.
    Ben drückte die Message-Taste, und die Abspielautomatik wurde aktiviert: »Geh ran, wenn du da bist, Ben, na los«, ertönte es. Das war alles. Bloß die Wiederholung dieses einen dürren Satzes. Danach hatte sie aufgelegt. Anschließend wieder das Bandsurren. Ein Klacken, die Message-Taste leuchtete grün, und auf dem Display stand eine ernüchternde »0«.
    Er lief ins Bad, zog sich aus und stellte sich unter die Dusche. Während das warme Wasser seinen erschlafften Körper noch schlaffer zu machen schien und er immer mal kurze Kältegüsse dazwischenschaltete, um nicht ohnmächtig zu werden, dachte Ben an die bis zu Iris’ Rückkehr vor ihm liegende Zeit. Wenn er sich nicht irrte, reichte sein Geld noch für einen ordentlichen Blumenstrauß. Er würde sie am Bahnhof überraschen und stellte sich ihr freudig erstauntes Gesicht vor.
    Als er sich abgetrocknet, wieder angezogen und mit dem Kamm einen flüchtigen Scheitel in das nasse Haar geritzt hatte, lief er, nachdem er dem Hasen etwas zu fressen gegeben hatte, barfuß in die Küche, setzte Teewasser auf und nahm den Feldstecher, Hunter 8 x 30, Sehfeld 131 m/1000 m, der ihm kürzlich bei der Suche nach einem Schraubenzieher in die Hände gefallen war, aus dem Besenschrank im Flur und ging damit ins Wohnzimmer ans Fenster.
     
    Z ur selben Zeit saß Johanna in ihrer Küche in der Ankergasse am Tisch, auf dem Schoß ein blau-weiß kariertes Geschirrtuch, und häckselte Möhrchen und Kohlrabi zu kleinen rötlichen und beigefarbenen Pyramiden.
    Auf ihrem Menüplan für ihre kleine Samstagsgesellschaft standen klare Brühe mit Schweinefilet und Gurke, anschließend Hühnerfrikassee mit Salzkartoffeln und Möhren-Kohlrabi-Salat sowie zum Nachtisch selbstgebackene Mohnbuchteln mit Weinschaumsauce. Als optische Ergänzung schwebten ihr Rohkostplatten vor, zu denen sie verschiedene Dips reichen würde.
    Vor ihr auf dem Tisch lag Roland Gööcks 1963 im Bertelsmann Lesering erschienenes senfgelbes und von Gebrauchsspuren deutlich gezeichnetes »Das neue große Kochbuch«, und Johanna schielte an den kleinen, süßlich-herb duftenden Pyramiden vorbei auf den Zubereitungsvorschlag für »Klare Suppe mit Schweinefilet und Gurke«. Sie las: »Das Fleisch quer zur Faser in feine Scheiben schneiden, in einem Schälchen mit Cherry und Sojasauce vermengen und ziehen lassen …«
    Der schwarze Stundenzeiger auf ihrer mit Obstdekor verzierten Atlanta-Keramik-Wanduhr über dem Spiegel rückte unaufhörlich vor und schien die Stunden so hastig zu verschlingen wie Homer die Salatblätter, die Ben ihm, drüben in Iris’ Wohnung, in seinen Käfig gestreut hatte.
    Mit jeder Stunde, die verstrich, wurde Johanna ein bisschen mulmiger zumute, denn in nicht einmal mehr als

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