Die Ängstlichen - Roman
der ihr Angst machte (alles war so verdammt einfach gewesen und schmeckte so verführerisch nach Gefahr).
Sie fuhren Richtung Innenstadt, und eine Zeitlang versuchte Ben genau wie Iris, sich auf den Verkehr zu konzentrieren, während er mit seinem Schweigen kämpfte. Doch irgendwann konnte er nicht mehr anders und sagte: »Ich habe mich übrigens um Homer gekümmert!«
Natürlich war das ein ziemlich plumper Versuch, wieder mitihr ins Gespräch zu kommen. Doch als er von der Seite sah, dass ihre Züge sich langsam aufzuhellen begannen, setzte er sogleich hinterher: »Deine Nachbarin hat den Käfig offen gelassen. Als ich in die Wohnung kam, war alles voller Köttel. Und außerdem, und jetzt halt dich fest: Homer hat deine Armani-Weste zerfetzt!«
»Oh, nein! Auch das noch«, rief Iris und verzog das Gesicht. Doch sofort nahmen ihre Züge wieder ihre alte Starre an. Als sie nach einigen Minuten zu ihm herübersah, suchte er sogleich ihren Blick.
»Was ist?«, sagte sie knurrig und verschränkte die Hände hinter dem Kopf, so dass die letzten, von vorn kommenden Sonnenstrahlen ihre kreideweißen, offenbar frisch ausrasierten Achselhöhlen beschienen.
»Nichts«, sagte Ben und schnupperte den Geruch ihres Deos. Bis zum Ende der Fahrt schwiegen sie, was Ben allerdings nicht davon abhielt, sie zu beobachten. Immer wieder spürte sie seinen beharrlichen Blick auf sich, und kurz schielte sie wehmütig hinüber zu den nicht sehr kräftigen Oberarmen, deren Muskeln sich jetzt genauso sichtbar unter dem T-Shirt spannten wie zuletzt unter der nackten Haut, als er sie zärtlich und trotzdem entschlossen umschlungen hatte, während sie entblößt auf ihm saß, ihn ansah und ihn in sich spürte.
Die vor ihr auf der Ablage liegenden Rosen, deren Blätter im Strom der Belüftung leicht zitterten, begannen bereits die Köpfe hängen zu lassen.
E s war 19.37 Uhr Ortszeit, die Außentemperatur betrug lausige elf Grad, und Rainer spürte, wie das Adrenalin, das durch seine Blutbahn rauschte, in seinem Körper ein arteriellesBeben auszulösen begann. In den Schläfen registrierte er bereits ein heftiges Kribbeln, ebenso in beiden Händen und in den angespannten Waden.
Da und dort sprangen in den umliegenden Häusern vereinzelt Lichter an, und über den Dächern, etwas weiter rechts, war am Himmel ein rhythmisches Leuchten auszumachen, flüchtig und so neblig, wie von Laserkanonen entfacht.
Sein Handy hatte er am Morgen im hohen Bogen in den Grezzbach geworfen und seine Krawatte gleich hinterher. Wie ein durch die Luft segelnder, silberfarben blitzender Fisch war das Gerät durch die kühle Luft gewirbelt und in der steingrauen Brühe verschwunden.
Kurz darauf lief er an Schaufenstern vorüber, in denen seine Silhouette sich wie ein aus allen Zusammenhängen gelöster Schatten spiegelte und wieder daraus verschwand. Er hatte erfolglos versucht, die Dinge, die unsortiert in seinem Kopf herumspukten, zu ordnen, um alles wieder in eine halbwegs vernünftige Reihenfolge zu bringen: Da waren sein beschlagnahmter Wagen und die beiden Drohbriefe. Und da waren Rita und Ulrike, die ihm auf einmal wie unberechenbare, denkbar gegensätzliche Naturgewalten erschienen. Die Einzelteile seines Lebens lagen um ihn verstreut wie die Blütenblätter einer Margerite.
Entschlossen schleuderte er, vor dem Polizeipräsidium angekommen, finstere Blicke in dessen Richtung. (Den beiden an zwei Masten angebrachten und für jedermann weithin sichtbaren Überwachungskameras allerdings, deren hellrote, rhythmisch blinkernde Betriebslämpchen an die Glut zweier Zigaretten erinnerten, schenkte er in seinem Eifer bedauerlicherweise nicht die geringste Aufmerksamkeit …) Dann zog er, ganz auf sein Vorhaben konzentriert, die Gartenhandschuhe aus der Plastiktüte. Mit Blick auf die umzäunte Lagerhalle,in der er (aber weshalb eigentlich?) seinen beschlagnahmten Wagen vermutete, streifte er sie über. Bei der Vorstellung des unter der gezielten Attacke seiner Rohrzange wie ein Uhrendeckel aufspringenden Vorhängeschlosses überkam ihn ein wilde Freude. Ja, Rainer war fest entschlossen, sich zurückzuholen, was ihm gehörte. (In seinen Augen war ein Mann ohne Auto wie ein Hund ohne Knochen.)
Bereits am Vormittag hatte er sich die Halle genauer angesehen und dabei überheblich gedacht: Das Vorhängeschloss ist ein Kinderspiel! Nun lag die Halle im Dunkeln, und unter der Kuppel des nicht ganz schwarzen Himmels sah sie aus wie ein Bunker. (In Rainers
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