Die Ängstlichen - Roman
Vorstellung lagerte darin schweres Kriegsgerät: Panzerfäuste, Granatwerfer und dergleichen, womit die Stadt mögliche Aufstände gegen ihre verfehlte Kommunalpolitik niederzuschlagen gedachte.)
Er setzte die Zange an, und mit zwei, drei kräftigen Rucken hatte er das Schloss gesprengt. »Na also!«, hauchte er zufrieden und ließ die Zange in seiner Tasche verschwinden. Kurz darauf stand er in der zu seiner Überraschung unverschlossenen Halle und ließ den Strahl seiner Taschenlampe neugierig über die unverputzten, von dicken Spinnweben überzogenen Wände wandern. Wenn der Lichtstrahl über eine Glasscheibe huschte, blinkte es kurz. In der Halle befanden sich überhaupt keine Autos (von Panzerfäusten und dergleichen ganz zu schweigen)! Und von seinem Wagen keine Spur!
Stattdessen erfasste sein Blick zahllose, offenbar zur Vernichtung bestimmte Aktentürme, fein säuberlich auf Paletten errichtet, gebunden oder verschweißt, eine Geisterstadt, durch deren enge Gassen er verwundert schlich.
Unschlüssig ließ er den Strahl seiner Taschenlampe mal da- oder dorthin springen. Als er genug hatte von seinem stumpfsinnigen Herumgeschleiche, blieb er stehen, legte die Taschenlampeauf einer der Paletten ab und nahm die Rohzange aus der Plastiktüte. Damit würde es für ihn ein Klacks sein, die dünnen Metallbänder, die die Aktenordner unter Spannung zusammenhielten, durchzutrennen. Jedes Mal, wenn er eines fluchend durchschnitt, flog es ihm surrend um die Ohren. Und so lief er bald von Palette zu Palette, durchschnitt Metallband um Metallband, bis auf das Hemd durchgeschwitzt.
Er hatte sicher an die fünfzig Bänder durchtrennt und zusätzlich den einen oder anderen Ordner mit heftigen Hieben der Zange zertrümmert, als er ein Geräusch vernahm und reglos verharrte.
Es hörte sich an, als ob jemand sehr schnell atmete, näher kam, sich wieder entfernte und links an der Halle vorbeilief, um weiter nach rechts zu laufen, zurückzukommen und am Eingang stehen zu bleiben. Dann war deutlich das Knirschen von Schotter zu hören, und eine Stimme sagte: »Ruhig, ganz ruhig!«
Rainer begriff: Da draußen redete jemand mit seinem Hund. Und soweit er das sah, gab es nur diesen einen Ausgang. Er saß in der Falle.
Vorsichtig legte er die Zange auf einer Palette ab, löschte seine Taschenlampe und kauerte sich auf den Boden. Der Schweiß lief ihm in den Nacken und in die Augen. Gleichzeitig spürte er, wie die Kälte des Bodens ihm in die Glieder kroch.
Mit der rechten Hand hielt er die Zange fest umschlossen. Die Tür wurde aufgestoßen. Der Strahl einer Taschenlampe zerschnitt die Dunkelheit und huschte über den Steinboden, begleitet vom unruhigen Hecheln des Hundes.
Langsam kamen Schritte näher, schwere, zögerliche Schritte, die plötzlich verstummten, und das Hecheln wurde lauter.
Rainer zog den Kopf noch tiefer zwischen die Schultern, bis ihn jemand mit einem spitzen Gegenstand antippte. Zögerlichsah er auf und blickte in das grelle Licht der direkt auf ihn gerichteten Lampe, so dass ihm sekundenlang schwarz vor Augen wurde. Und dann sagte eine Männerstimme: »Los, stehen Sie auf!«
Es dauerte einen Moment, bis Rainer wieder sehen konnte. Kurz dachte er daran, dem Mann die Situation zu erklären. Doch dann ging alles sehr schnell.
Rainer sprang auf, riss die Zange hoch und ließ sie, wie auf Befehl einer höheren, fremden Macht, krachend auf den Schädel des Hundes niedersausen. Das Tier jaulte auf – und verstummte. Mit einem zweiten, nicht weniger festen Hieb erwischte er den Mann, der nicht einmal sehr laut schrie, als der Lichtstrahl seiner Taschenlampe ruckartig hinauf zur Hallendecke gerissen wurde und er rückwärts gegen eine der Paletten taumelte und mit einem dumpfen Laut zu Boden ging.
Rainer war völlig außer Atem. Mit letzter Kraft schaltete er seine eigene Taschenlampe wieder ein und sah nun die des anderen, wie sie klappernd unter einer Palette hervorrollte. Er hob sie auf und schaltete sie aus. Dann lief er, ohne sich noch einmal umzudrehen, nach draußen, streifte eilig die Handschuhe ab, an denen kein Blut zu sehen war, und stopfte sie zu der Zange in die Plastiktüte.
Er zitterte am ganzen Körper und blinzelte betäubt in die Finsternis, in der nun kein einziges Licht mehr brannte, an das er sich noch hätte klammern können.
Im selben Moment zog eine kühle, jungfräuliche Brise über das nächtlich schweigende Nordhessen heran, schlich über die Äcker der Rhön, kroch weiter
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