Die Ängstlichen - Roman
ersten Zusammentreffen mit diesen Leuten in Dreyfuss’ Würzburger Etablissement hatten sie ihn angeekelt; kleine, wie Maden auf ihren Posten klebende Nummern, die ein bisschen Al Capone spielten und sich wie Robert de Niro in »Der Pate 2« fühlten, wenn sie ihrem Big Boss mal Feuer geben durften, einen Falschspieler vermöbelten oder einem Kleindealer sein sauer verdientes Geld abnahmen. Doch er hatte ihnen ein Schnippchen geschlagen! Genau wie der Polizei. Amüsiert musste er an die Einstichstellen in seiner linken Armbeuge denken, aus der er das Blut abgezapft hatte, das er im Wagen verteilt hatte, um seinen vorgetäuschten Selbstmord möglichst glaubhaft aussehen zu lassen.
»Du bist mir wie immer ein Stück voraus«, hatte schon sein Schulfreund Strykowski jedes Mal anerkennend gesagt, wenn sie mal wieder in irgendeiner unnützen Sache miteinander rivalisierten und Janek wiederholt die Nase vorn hatte. Ludvig wäre in diesen Minuten sicher stolz auf mich, dachte Janek.
Kurz vor halb zehn war Ben wie verabredet an der Stelle im Parkhaus unter dem Marktplatz, an Platz Nummer 521, erschienen. (In der Bank war zu seiner Überraschung alles reibungslos verlaufen. Er hatte mit pochendem Herzen seinen Pass vorgelegt, ein Auszahlungsformular unterschrieben und war anschließend dem Beamten in einen Nebenraum gefolgt, wo dieser ihm das Geld ausgehändigt hatte, 90 000 Euro. Iris hatte nichts dem Zufall überlassen und sogar daran gedacht, eine Handschriftenprobe von ihm zu hinterlegen.)
Minutenlang war alles ruhig, und immer wieder blickte Ben auf seine Uhr, deren grünlich fluoreszierende Ziffern hinterdem schimmernden Glas schwammen wie blitzende Skalare in einem Warmwasserbecken bei Nachtbeleuchtung.
Mit jedem neuen Auto, das herunterfuhr und mit eingeschalteten Scheinwerfern auf ihn zuhielt, stockte ihm der Atem.
Plötzlich aber registrierte er im Augenwinkel eine schnelle Bewegung, das Herannahen eines Schattens. Langsam bewegte sich der Ärmel eines Mantels oder einer Jacke in den hellen Lichtschacht, in dem er stand. Dann eine Schulter und schließlich der Kopf, der sich langsam drehte und sein Profil zeigte. Und da war er. Janek.
»Wie geht es dir?«, sagte Ben und hielt zitternd das Päckchen mit dem Geld in der Hand. Dabei blickte er sich unsicher in der stickigen, trüben Weite des Parkdecks um.
»Ich bin in Ordnung!«, antwortete Janek.
»Wo kommst du überhaupt her?«, wollte Ben wissen.
»Ich war die ganze Zeit in eurer Nähe! Aber du hältst den Mund, verstanden! Zu niemandem ein Wort!«
Genau in dem Moment kam ein Wagen angefahren, dessen Scheinwerfer sie erfasste.
»Bleib ruhig!«, sagte Janek und zog ihn ein Stückchen auf seine Seite, tiefer in die Haltebucht hinein, so dass der Wagen, eine dunkle BMW-Limousine, problemlos an ihnen vorbeifahren konnte.
»Gut gemacht, mein Junge!«, sagte Janek und legte ihm freundschaftlich den Arm auf die Schulter. »Danke!«
»Aber, ich … du …«, stotterte Ben, und ehe er weitersprechen konnte, sagte Janek: »Wenn ich weg bin, wartest du noch ein paar Minuten! In Ordnung? Dann gehst du.«
»Ist dir klar, wohin dich das bringt?«, rief Ben, beide Hände zu einem Schalltrichter vor dem Mund geformt, als der andere sich mit schnellen Schritten entfernte.
»Nirgendwohin!«, hallte es kurz darauf in der leeren, betonstarrendenWeite wider. Dann wurde die weglaufende Gestalt rasch kleiner. Ehe er aber durch einen Seitenausgang wieder dorthin verschwand, woher er gekommen war, blieb Janek stehen, ein verschwimmender Schatten im trüben Licht der Parkhauslampen, wandte sich kurz um und hob wie zum Gruß die Hand.
Wieder zu Hause, wählte Ben Kaplans Nummer. Vielleicht, um sich Erleichterung zu verschaffen, vielleicht aber auch nur, um sich für ein paar Minuten weniger allein zu fühlen. Er tat es wie jemand, der sich in einen Beichtstuhl setzt und weiß, dass er nicht lange drum herumreden kann.
Kaplans Stimme erklang, kratzig und müde. »Ja«, sagte er.
»Ich bin’s, Ben.«
»Was gibt’s?«, sagte Kaplan, gefolgt vom Klicken seines Feuerzeugs. Dann ein Rascheln und Stille. Ein kräftiges Ein- und Ausatmen, und er sagte: »Alles klar mit dir und deiner Liebsten?«
»Wie man’s nimmt«, antwortete Ben.
»Du hast sie doch hoffentlich aus dieser Sache, na, du weißt schon, rausgehalten!«, sagte Kaplan apodiktisch und blies den Rauch an der Muschel vorbei, was ein vorübergehendes Brausen in Bens Ohr erzeugte (ein Geräusch, wie wenn man
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