Die Ängstlichen - Roman
Luft in eine kleine zerknitterte Papiertüte stieß).
»Nein, hab ich nicht«, erwiderte Ben kleinlaut.
»Idiot!«, sagte Kaplan trocken. »Und was nun?«
»Keine Ahnung«, sagte Ben.
D as Telefon klingelte, und Johanna dachte: Jetzt keine Absagen mehr, bitte! Sie lief in die Diele, ergriff in einer Mischung aus Argwohn und Unbehagen den Hörer, schöpftekurz Atem und säuselte, in einer Art präventiver akustischer Gefahrenabwehr, ungewöhnlich warm und schmeichlerisch in die Muschel: »Jan-sen?«
Doch alle Mühe war umsonst. Denn sogleich tönte ihr prosaisch entgegen, »Ich bin’s, Mutter!« (Ulrike war in diesen Minuten weiß Gott nicht danach, ihre Mutter auf welche Art und Weise auch immer milde zu stimmen. Sie hatte andere Sorgen.) Johanna aber, forsch wie eh und je, schnitt ihr sogleich das Wort ab und rief: »Jetzt sag bloß nicht, dass ihr nicht kommt, Ulrike! Untersteh dich, hörst du!«
»Nein, nein«, stotterte Ulrike, »es ist nur, äh, wie soll ich sagen …«
»Ich höre, Ulrike!«, entgegnete Johanna kühl und drückte dabei den Hörer fester ans Ohr.
»Es ist einfach so, dass …«, begann Ulrike von neuem, »… dass ich alleine komme. Und nun sei nicht gleich beleidigt, ja!?«
Nach einer kurzen Pause fügte sie kleinlaut hinzu: »Rainer ist … indisponiert. Und es sieht so aus, als ob er …«
»
Indisponiert?
«, echote Johanna mit einem höhnischen Hallo-hier-stimmt-doch-was-nicht-Ton und schnitt ihrer Tochter erneut das Wort ab.
»Ja, ganz genau«, sagte Ulrike und horchte gebannt auf das Rauschen in der Leitung, so als brande zwischen Hanau und Fulda das Meer.
»So«, sagte Johanna, und sie sagte nur dieses eine ominöse Wort. Doch die Art, wie sie es betonte, sprach Bände. »Indisponiert?«
»Ja«, erwiderte Ulrike. Und in der Hoffnung, sie von der richtigen Fährte auf eine falsche umzuleiten, um nicht weitere Fragen nach Rainers Befinden zu provozieren, die sie nicht, ohne zu lügen, hätte beantworten können, fügte sie rasch hinzu:«Und die Kinder schaffen es übrigens auch nicht so auf die Schnelle.«
Eine Pause entstand. Bis sich die in Johannas bereits fühlbar angespanntem Oberbauch sammelnde Wut zu entladen begann und sie ihre Tochter mit den Worten »Das ist nicht dein Ernst, Ulrike« anfuhr. »Habe ich dich nicht ausdrücklich gebeten, sie mitzubringen?«
»Doch Mutter, das hast du!«, rang Ulrike darum, nicht augenblicklich die Fassung zu verlieren und loszuheulen. »Aber sie lassen dich alle drei ganz herzlich grüßen!« Der Kloß in ihrem Hals erschwerte ihr das Sprechen.
»So, tun sie das!«
»Ach, komm schon, Mutter«, hielt Ulrike weiter tapfer dagegen, »junge Leute, du weißt doch, wie das ist. Die eine hat diesen Termin, der andere jene Verabredung. Aber ich komme ja auf jeden Fall, und ich freue mich auch schon darauf.« (Freuen? Ulrike wusste nicht, woher sie noch die Kraft für eine solche Energieleistung nahm, wie sie ihr augenblicklich abverlangt wurde. Rainer hockte im Keller, und sie musste tatenlos mit ansehen, wie ihre Ehe sich in ihre Bestandteile aufzulösen begann, während ihre Mutter nichts Besseres im Sinn hatte, als auf ihren Nerven herumzutrampeln.)
»Schöne Bescherung, vielen Dank, Ulrike«, giftete Johanna enttäuscht, leckte sich nervös über die Lippen und sah sich dabei zu, wie sie, ehe Ulrike imstande war, noch etwas zu erwidern, den Hörer auflegte.
B en griff nach dem auf dem Tisch liegenden Löffel und kratzte den Zuckerrest, der sich am Boden der Kaffeetasse gesammelt hatte, zusammen und schob sich den Löffel in den Mund. (Manchmal setzte er sich morgens, wenn er das Alleinsein nicht aushielt, in das Café am Marktplatz, blätterte, umgebenvon Rentnern und Arbeitslosen, die dort ausliegenden Zeitungen und Magazine durch – die zerfledderte F. A. Z. und den meist nicht mehr vollständigen Kicker, weil jemand den Ergebnisteil mit den Spielberichten und Tabellen geklaut hatte – und hing seinen Gedanken nach oder suchte Anregungen für eigene Artikel.)
Er musste an Janek denken. Wie ein Schatten war er aufgetaucht und wieder verschwunden, unwirklich geradezu.
Er legte zwei Euro auf den Unterteller und verließ das Café. Bis zu der Zusammenkunft in der Ankergasse blieben ihm noch knapp vier Stunden. Er lief stadtauswärts zu seinem Wagen, den er in der Nähe des Postamts abgestellt hatte, und fuhr Richtung Kesselstadt.
Die Fassaden glitten wie mit vertrauten Stadtmotiven bemalte Rollbahnen zu beiden Seiten an
Weitere Kostenlose Bücher