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Die Ängstlichen - Roman

Die Ängstlichen - Roman

Titel: Die Ängstlichen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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Polen hatte er, jung, gutaussehend und draufgängerisch, mit den Gefühlen der Mädchen gespielt, deren Eroberung ein Leichtes für ihn gewesen war. Und während des Krieges, zwischenden schwer auszumachenden Frontverläufen, hatte er mit wechselnden Identitäten jongliert, hatte sich kaltschnäuzig zunächst als Österreicher und später als Deutscher ausgegeben und sogar eine Wehrmachtsuniform mit Hakenkreuzarmbinde getragen. Genau genommen war Janek ein Mann mit vielen Eigenschaften, aber ohne Gewissen.
    »Ich weiß nicht, wer du bist, und ich weiß nicht, warum der Herrgott ausgerechnet mich dazu bestimmt hatte, dich auf die Welt zu bringen?«, hatte seine Mutter einmal mit kraus gezogener Stirn zu ihm gesagt und ihn durchdringend angesehen. »Aber ich weiß, dass es kein gutes Ende mit dir nehmen wird.«
    Dabei war die Erklärung für seine Spielleidenschaft im Grunde simpel: All die Jahre über hatte er nach Gegnern gesucht, die ihn in die Schranken wiesen und die ihn von sich selbst trennende harte Schale aufbrachen, so dass er sich endlich spüren konnte. Wem es gelang, zu dem sah er bewundernd auf; alle anderen strafte er mit Verachtung. Besonders jene, die bereits beim ersten Händedruck vor ihm jaulend in die Knie gingen. Denn seine Kraft war gefürchtet, und wer ihm achtlos die Hand gab, konnte sie ebenso gut zwischen die sich ruckartig schließenden Backen eines Schraubstocks legen. Kraft zu haben war für Janek der Beweis, lebendig zu sein. Aus diesem Grund hatte er sich schon als junger Mann in Sosnowiec wiederholt in Schlägereien verstrickt, um sich mit anderen physisch zu messen. Und auch die Sache mit dem Amboss, der in seiner Werkstatt stand, lief im Grunde darauf hinaus: auf die Suche nach einem, der fähig war, das Ding länger oder zumindest genauso lang wie er selbst in die Höhe zu stemmen. So war er wie ein angeschossenes Raubtier auf der Flucht, das nichts mehr fürchtet als den Anblick des eigenen Schattens.
    Seit zwei Tagen befand er sich inzwischen auf der Flucht vor Dreyfuss’ Leuten, die in Montreux, in »Caesars Brasserie«,saßen, den Tänzerinnen zusahen und vergeblich auf ihn warteten. Ob er Angst hatte? Nein, Angst hatte Janek nicht. Angst war in seinen Augen etwas für Waschlappen und solche, die noch etwas zu verlieren hatten. Was er hätte verlieren können, war ihm schon viele Jahre zuvor, in Polen, als er noch ein junger Mann gewesen war, abhandengekommen: die Fähigkeit, sich selbst zu akzeptieren.
    In »Caesars Brasserie« hatte er das erste Mal in seinem Leben Froschschenkel gegessen. Damals hatte sich ein Mädchen mit hohen Schuhen neben ihn gesetzt, ihn mit großen dunklen Augen angesehen und gefragt, ob er Liebe machen wolle. Er hatte versucht, sich auf sein Essen zu konzentrieren, während der Besitzer, ein Typ, der aussah wie ein alter Häuptling mit Hakennase und tiefliegenden, intensiv dreinblickenden Augen, sie argwöhnisch beobachtet hatte. Als er ihr Angebot mit einer unmissverständlichen Kopfbewegung ausschlug, hatte sie in schlechtem Englisch mit wütendem Unterton in der Stimme gesagt: »You not my friend«, und war, ohne ihn noch einmal anzusehen, an einen der anderen Tische weitergezogen.
    Im Spiegel hatte er die Mädchen beobachtet, die auf der kleinen, rotblau ausgeleuchteten Bühne direkt hinter ihm tanzten, Asiatinnen allesamt, die sich kleine, papierne Goldsterne angeklebt hatten, die gerade so ihre Brustwarzen bedeckten. Auf den knappen Höschen trug jedes Mädchen eine Nummer, so als rivalisierten sie um irgendeinen Titel. In Wahrheit aber handelte es sich bei den Nummern um einen Service für die Barbesucher, da die Mädchen, deren wahre Identität gewahrt bleiben sollte, keine Namen hatten. Wer eines der Mädchen mit aufs Zimmer nehmen wollte, musste dem Besitzer die entsprechende Nummer nennen und vorab eine größere Summe bezahlen. Manchmal huschte ein flüchtiges Lächeln über ihre Gesichter, ohne dass aber wirkliches Leben in ihren Augen aufkam.
    Janek hatte damals lange die träge im Rhythmus der Musik hin und her gehenden Hüften der Mädchen studiert, ihre im Scheinwerferlicht glänzenden schwarzen Haare und ihre schneeweiße Haut, die wächsern gewirkt hatte. Einige Sekunden lang war ihm der Blick eines Mädchens im Spiegel begegnet. Doch statt ihn zu erwidern, hatte er zur Seite geblickt und stattdessen den Besitzer des Clubs ins Visier genommen, der inzwischen unruhig hinter der Bar auf und ab lief.
    Später war er noch ein paarmal an

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